Form folgt der Funktion – oder was?

12/04/2022

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Das Zitat ist ja völlig aus dem Kontext gerissen und ich will dem einmal detailierter nachgehen. Für den Moment reicht mir zu erkennen, dass das Schwachsinn ist, weil ich von so vielen »designten« Objekten umgeben bin – ich bin ja Designer –, die im Alltag so unbrauchbar sind, dass man sich genieren muss.

Aber fremdgenieren muss man nicht.

Fremdgenieren ist wertlos.

Es ist ja nicht von mir designt.

Aber es schadet (und schadete) unserer Zunft. Designer sind manchmal angesehen, aber das Attribut »Designer-irgendwas« bedeutet im Allgemeinen teuer und dysfunktional. Gottlob ist es so mehrheitlich nicht. Das gilt nur für jene Gegenstände, die explizit als »designt« markiert werden – eben teure Stücke von Star-Designern.

Die Formen, die sich die manchmal ausdenken, können unmöglich aus der Funktion abgeleitet sein, weil diese Dinger ja nicht funktionieren.

Dabei ist praktisch jedes Ding unseres Alltags designt. Nicht nur vom Handwerker, der das implizit macht, sondern oft auch von Profi-Designern. Irgendwer muss entscheiden, wie die Kurve des Motordeckels der Kettensäge verlaufen soll, wo der Griff sein muss. In der Welt der Arbeitsteilung macht das nicht mehr der Konstrukteur, das macht der Designer mit dem Konstrukteur als Sparringspartne (siehe auch »Der Bus, der Konstrukteur und der Manager«).

Aber wir reden vom explizit, gut sichbaren, designten Sachen – dieses Mal tatsächlich von Zeug, von Gegenständen.

Deren Form folgt ja angeblich seit dem Bauhaus der Funktion. Aber der Ausspruch ist älter und er ist falsch. Zumindest unvollständig, denn: Was ist die Funktion?

Die Funktion ist nicht nur technisch bestimmt oder vom Gebrauch, von der Handhabung. Die Funktion ist auch emotional und – das ist sie sehr häufig – sozial.

Die berüchtigte Zitronenpresse erfüllt ihre Funktion prächtig: Repräsentation.

In seinem TED-Talk berichtet Donald Norman von seinem vergoldeten Exemplar, bei dem speziell darauf hingewiesen wird, es nicht zum Pressen von Zitrusfrüchten zu verwenden, weil darunter die Beschichtung leiden könnte (0:49–1:14).

Heute verwende ich meine »designte« Thermoskanne von Stelton. Ausgestellt hier und da und wahrscheinlich auch im MoMa.

Aber wertlos.

Schwer zu greifen und senkrecht zu halten.

Schwer zu kippen.

Beim Einschenken tröpfelt der Tee vorne raus oder die Klappe hält dem Druck der Flüssigkeit nicht stand und lässt sich mit einem Tee-Tsunami ins Teeglas schwemmen. Wenn man Glück hat.

Unerfreulich.

Dabei sieht sie gut aus.

Solange sie bloß da steht.

Nach einiger Zeit seh ich mich satt. Ich will sie verwenden und dann ... nur (fast nur) Ärger.

Freilich erfüllt sie ihre emotionale Funktion. Ich freu mich über diese Klarheit, diese »Ikonizität«, wie es machne Kollegen bezeichnen, diesen Minimalismus.

Aber diese Form folgt keiner Funktion! Keiner technischen.

Denn wenn ich die Kanne nach vorne kippe, um einzuschenken, beschleunigt sich die Flüssigkeit darin derart – insbesondere wenn nur noch das untere Drittel gefüllt ist – dass es eine Bremse vorne braucht. 

Den Deckel.

Deshalb kommt wenig raus, weil man muss es dem Tee schwer machen. Würde es ihm einfach gemacht werden, dann würde der Tee nur so rausschießen, wäre die Fließmenge schwer steuerbar.

Bei einer klassischen Teekann, da muss der Tee auch beim Kippen erst eine kleine Steigung überwinden. Als Einschenkender kann ich jetzt gut steuern, wie schnell und wie viel Tee fließen soll (wenn auch der Schwerpunkt höchst ungünstig liegt und man lieber zwei Hände nimmt).

Bei einer geraden Fläche (eben die Wand eines Zylinders) ist das entsprechend schwieriger zu steuern, erfordert jedenfalls deutlich mehr Feinmotorik. Für Ältere ausgeschlossen.

Fazit: Die Form folgt nicht der Funktion!

Sie folgt dem Werkzeug.

Und vor allem dem Gestalterwillen.

Ich fordere: die Dinge sollen funktionieren und nichthässlich sein.


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