Warum ist Design so wichtig?

11/10/2020

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Eine Frage tauchte die letzten Wochen ein paar Mal auf. Ich wurde gefragt, was der Motor meines Schaffens ist, was treibt mich an? Warum dieser Einsatz für Design und Design-Thinking?

Zuerst wehrte ich ab, dann begann ich darüber nachzudenken und schließlich erlaubte ich mir eine Antwort. Die will ich nun etwas breiter besprechen und anbieten, denn ich glaube entdeckt zu haben, warum Design – und das meint Design-Thinking, die Denkweise der Designer, meine Denkweise – so wichtig ist in diesen Tagen. (und vielleicht schon immer war.)

Meine Begeisterung für Design-Thinking speist sich aus meiner Begeisterung für Design. Design macht, wer designdenkend handelt. Aber welches »Design« ist das? Es ist ein anderes Design als jenes, das uns der Mainstream präsentiert.

Tiefergehend behandle ich das in meinen »6 Sätzen über Design«, speziell im sechsten Band, der den Satz-1 dieser Serie ausführt: »Designen ist mehr als bloßes Formgeben, designen haucht dem Produkt Seele ein.« Doch da muss ich dich etwas vertrösten, dieser Band ist noch in Arbeit und unveröffentlicht. 

Nicht weniger treffend und vermutlich den wichtigste und zentralen Gedanken dieser Serie (und meiner Haltung zum Design) darstellend, ist der heuer erschienene vierte Band: »Satz 3: Designen verbessert das Leben der Menschen.« Das ist auch schon die kurze Antwort auf die Frage, die diesen Artikel anstieß (Was treibt mich an?) und auf den Titel.

Versteht man Design auf diese Weise, dann versteht man, warum Design-Thinking Bedeutung hat. Es geht keineswegs bloß um eine Methode, ein Rezept, es ist eine Frage der Haltung. Einfach zu behaupten, man müsse einem Rezept folgen und schon hätte man die Einsichten, wie man den Menschen dienen kann, wie man Innovationen generiert, greift zu kurz. Und es schürt falsche Erwartungen. Ohne aufrichtigem Wunsch echten Vorteil für den Anwender, dem Nutzer eines Produkts, zu schaffen, bringt die beste Rezeptur nichts. Sie bleibt oberflächlich. Das beweist sich in zahlreichen Design-Thinking-Workshops, die zwar Riesenspaß machen, ein lustiges Wochenende und Abwechslung vom Büroalltag bringen, aber ansonsten in der guten Absicht stecken bleiben. Man schafft den Transfer in den Alltag nicht. Man kann die Herangehensweise der Designer nicht in die gewohnte Arbeitsweise integrieren, weil man meint weiterhin in der gewohnten Arbeitsweise nur eben mit »neuen Noten« besser spielen zu können. Nein, es eine Frage der inneren Einstellung. Diese zu verändern, muss man bereit sein. Innovation bedingt Veränderungsbereitschaft.

integriert entwerfen

Als ich mit Christoph Pauschitz unser Industrie-Design-Unternehmen GP designpartners 1992 gründete, hatten wir nur sehr wenige Arbeiten vorzulegen. Doch wir wußten, was wir wollten. Wir wollten die Dinge des Alltags verbessern. Donald Norman hat uns dazu inspiriert. Wir wollten uns nichts vorschreiben lassen – David Thoreau gab Orientierung – und wir wollten die Dinge neu betrachten. Mit unserem Büchlein »integriert entwerfen«, das ich 2012 zum 20-jährigem Bestehen unseres Unternehmens – ergänzt durch Reflexionstexte mit eben der damaligen 20-jährigen Erfahrung – neu auflegte, definierten wir (ohne es damals konkret abschätzen zu können) einen Standard: Wir wollten in jedem Produktbereich ein Produkt »integriert entworfen« wissen.

Dazu musste man »integriert entwerfen« definieren, was in diesem Büchlein gemacht wurde. Kurz zusammengefasst bezeichnete wir Produkte dann als »integriert entworfen« wenn nicht nur die äußere Form betrachtet und bearbeitet wurde, sondern wenn man auch »die Beziehung des Produkts zum Menschen« verbessert hat.

Auf Seite 14 schrieben wir (1992): »integriert entwerfen heißt also:

  1. die handlungen rund ums produkt im gebrauch und bei der herstellung beachten,
  2. die lösung möglichst vieler schnittstellen zwischen mensch und produkt anstreben,
  3. dass das produkt mit seinen vorteilen möglichst vielen menschen zugute kommt und
  4. dass ästhetische qualität erreicht wird.«

Und 2012 bestätigte ich auf Seite 15 diese Einschätzung mit: »design soll die richtigen schnittstellen aufspüren und lösen; jene schnittstellen, die den menschen probleme bereiten, wenn sie ein produkt benutzen. dabei geht es nicht bloß darum, einem gegenstand eine gefällige form zu geben (siehe »integriert entwerfen«: ästhetik auf 4.), sondern es geht primär darum, handlungen rund um das produkt im gebrauch zu gestalten (1.), möglichst viele solcher handlungen (2.) und diese leistung möglichst vielen menschen zugutekommen zu lassen (3.).«

Der Designer hat die Aufgabe die Schnittstellen zwischen Produkt und Menschen aufzuspüren, die Probleme bereiten (könnten) und entsprechend, d.h aus Sicht der Nutzer, zu gestalten. Hat er das geschafft, dann hat er damit das Leben der Menschen verbessert – in mindestens einem Aspekt (das ist gut, auch wenn der dem einen oder anderen nebensächlich erscheinen mag). Eine vorgefundene Situation, diese bestimmte Schnittstelle – etwa der Einstieg in den Bus –, die für einen Nutzer ungünstig war, wurde so verändert, dass sie sich dem Ideal annähert, also bequemer, einfacher, günstiger, angenehmer, besser wurde. Das ist Innovation, die das Leben der Menschen verbessert. Das ist die nützliche, die gesuchte Innovation.

Freilich gibt es unterschiedliche Nutzer einer Sache, mit häufig diametralem Interessen. Je mehr man erreicht, je mehr Interessen man entspricht, desto besser (möglichst viele Schnittstellen).

Das Design, das ich meine, ist eines, das das Leben der Menschen verbessert und die ungünstige Situation auflöst. Satz-3 und Satz-2 sind (so erkenne ich nun) Dreh- und Angelpunkt dieser Design-Philosophie.

Der Designer muss entscheiden, er diktiert.

Damit das gelingt, muss der Designer entscheiden! Verantwortungsbewußt und sorgsam! Er kann diese Entscheidung nicht an den Konsumenten abschieben und sich hinter Co-Creation verstecken. Es ist seine Pflicht, so zu entscheiden, dass es dem Nutzer in seiner Lebensführung unterstützt und bestens dient; dabei soll es auch ästhetischen Ansprüchen genügen, das ist klar.

Einfach ausgedrückt: das Produkt ist »nichthäßlich« (Produkt = Gegenstand, Prozess, Dienstleistung). Doch was man so einfach hinschreiben kann (nichthäßlich), ist die Königsklasse im Design. Es ist einfacher etwas »schön« zu machen (es ist dann für manche Personen schön, für andere nicht), als dass es als »nichthäßlich« anerkannt ist (denn das gilt für alle!).

Der Designer kann sich somit nicht (nur) auf das Urteil der Anwender stützen. Er muss Position beziehen und selbstlos das Bessere bestimmen. Er agiert in diesem Sinne als »benevolent Dictator« (das muss ein eigener Beitrag werden, sehr kontroversiell und weit hinausgelehnt; dazu ein Artikel im Satz-3 und ein Blogbeitrag).

Das erfordert Fingerspitzengefühl und Demut. Nicht das besonderere Aussehen, sondern der bessere Gebrauch muss der Antrieb für Gestaltung sein. Das ist schwer und Designer unterliegen dabei genauso den menschlichen Schwächen wie andere Entscheider. Man müsste sich laufend über kognitive Verzerrungen bewußt sein, reflektieren und sich selbst korrigieren. Das gelingt nicht immer. Dennoch fordere ich, dass es Designer mit bestem Gewissen zu jeder Zeit machen müssen. Freilich mit der kleinen Hintertür, dass sie sich auch irren dürfen. Irren ist erlaubt, sofern man dabei lernt. 

Damit sind wir wieder bei einem dieser Stehsätze aus dem Design-Thinking-Mainstream »Fail early, fail often«. Ja, man probiert frühest möglich die vermeintlich bessere Lösung, das (vom Designer-Diktator) vorzuschreibende Ideal aus, damit man – wenn man sich geirrt hat – schnell die Korrektur vornehmen kann. Es geht um das Bessere, nicht um eine Vielzahl an Prototypen. Ideal wäre ein einziger Prototyp, der die Annahmen des Designers über den besten Gebrauch bestätigt, der die Innovation gebiert.

Das ganze ist deshalb heikel, weil der Designer dadurch schnell in die Rolle einer moralischen Instanz rutscht. Das soll nicht sein und er ist es ja nicht alleine. Auch die Unternehmer, die Manager, die das Produkt umsetzen, die Verkäufer, die es anpreisen, sie alle sind in Wahrheit verpflichtet, die Nutzer, ihre Kunden, bestens zu betreuen – so als wären sie es selbst oder ihre Kinder.

Menschen sollen nicht scheitern

Es ist ein Gräuel, dass 80-jährige scheitern, wenn sie einen neuen Fernsehsender in ihren Fernsehapparat programmieren wollen. Es ist ein Graus, wie diese Wahlkarten hier in Wien (und vermutlich so ziemlich weltweit) funktionieren – die ungültige Briefwahlstimme ist hier vorprogrammiert. Keine Rücksicht auf den Bedarf der Bevölkerung. Es ist ärgerlich, wenn man Informatik studiert haben müsste, um sein Telefon in Betrieb zu nehmen. Es ist unverständlich, wie verkorkst Bedienungsanleitungen erklären, wie man das eben gekaufte Produkt selbst fertigstellen, also zusammenbauen muss.

Es ist ein Jammer, wie einzelne Marketingabteilungen diverser Lebensmittelnahversorger die Konsumenten mit ihrer Verwirrtaktik über den Tisch ziehen wollen, wenn sie den günstigen Preis anschreiben, von einen Gratis-Stück sprechen, dann aber wieder den vollen Preis für das eine oder eben für beide den niedrigeren Preis berechnen. Da gilt entweder das »ein Stück gratis« nicht oder der günstige Preis ist falsch.

Wir wollen im Design (und daher im Design-Thinking) keine Tricks anwenden und zur Verführung nutzen, sondern zur Verbesserung – für die Innovation. Der gute Designer tritt entschieden gegen die übervorteilende Vorgangsweise auf. Er weiß Bescheid über die Psychologie, hat Kahnemann gelesen, kennt die Tricks des Nudgens und wendet sie, so gut es ihm möglich ist, im Sinne des Menschen, des Nutzers an; nicht um den Konsum zu steigern, sondern um die Handhabung zu vereinfachen und den Gebrauch zu optimieren.

Er nutzt diese Erkenntnisse, damit die Produkte, die Gegenstände, Prozesse und Dienstleistungen bestens benutzt werden können. Bestens heißt reibungsfreie Handhabung, klar und verständlich, der Nutzer im Gefühl der Kontrolle (siehe auch »Kann gutes UX-Design veralten?«); es funktioniert alles »seamless, like magic«. Das ist echte Innovation – und sie ist selten. Nur ein paar wenige private Unternehmen wissen vom Vorteil so einer kundenorientierten (keinesfalls kundenzentrierten) Herangehensweise, bei vielen, allen voran bei den Regierungen und ihren Institutionen, ist es im Argen.

In all diesen Dingen geht es letztlich um die innere Haltung. Design kann diese (richtige?) innere Haltung in Organisationen entwickeln helfen. Der Designer kann sich für die Lösung der Schnittstellen, für »integriert entworfenes« stark machen, kann menschliche Bedürfnisse und ökologische Umsicht einbringen. Er macht das als »benevolent dictator«, der die freie Entscheidung zulässt, er macht ein Angebot. Er inspiriert zur Innovation.

Design als Querschnittsfunktion ist dieser Tage wichtig. Die Denkweise der Designer ist relevanter denn je. Mehr Menschen sollen sich mit Design-Thinking auseinandersetzen. Nicht um ihre eigene Denkweise abzulegen, sondern um Design besser zu nutzen und in ihrer Welt einzusetzen. (Übrigens: ich biete dazu eine individuelle AusbildungDesign-Thinking-Coaching und Sparringsgespräche an.) Die Kunden, das sind nicht nur die Konsumenten, auch die Mitarbeiter und Kollegen, werden es ihnen danken. 

Design, das ich meine, ist nicht einfach. Es umfasst all diese Dinge und erfüllt dabei auch noch ästhetische Vorgaben. Ein Designer lebt nicht leicht, hat Otl Aicher einmal geschrieben und gefragt: wer hält das aus? 

»Der gute Designer«, antworte ich. Dem macht das Spaß. Es ist sein Antrieb. Er sucht und findet die Innovation mit dir.


PS: Wann immer du über eine Produkt-Innovation nachdenkst, du hast vier Möglichkeiten mit mir in Kontakt zu treten:

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