Von zufälligen zu definierten Kundenbeziehungen: Der unterschätzte Erfolgsfaktor

03/03/2024

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In der Arbeit mit dem Business-Model-Canvas stelle ich immer wieder fest: »Kundenbeziehungen« ist kein explizites Thema. Das Feld ist vorhanden, aber es wird nicht intensiv bearbeitet. Das verwundert, weil ja das Thema »Kundenbeziehungen« alle aufmerksamen Unternehmer und Manager hellhörig macht. Jeder wünscht sich eine gute Kundenbeziehung.

Eine gute Kundenbeziehung ist langjährig und bringt sicheren Umsatz. Das sind wohl häufig die ersten Gedanken. Dann, es geht ja nicht um Geld (nicht nur), soll diese Kundenbeziehung auch vertrauensvoll sein. Das ist ja notwendig, wenn langfristig Umsatz entstehen soll. Vielleicht ist man auch noch deshalb an einer guten Kundenbeziehung interessiert, weil man daran wachsen kann. Gemeinsam. Spontan fällt mir dabei die Kooperation von Rauch und Red Bull ein.

Aber wenn ich die Sache genauer beleuchte, dann fehlt die Substanz. Oder sie ist nicht leicht erkennbar, muss erst herausgeschält werden. Das erscheint mir auch wichtig, denn eine unklare »gute Kundenbeziehung« ist eine zufällige! Sie ist entstanden, weil man sich, weil sich jemand oder weil sich ein paar Mitarbeitende so und so verhalten haben. Ist man persönlich engagiert, dann entsteht eine gute Kundenbeziehung, ist man weniger am anderen interessiert, eben eine weniger gute. Braucht der Kunde das angebotene Produkt, ist es ihm in seinem Fortkommen wichtig, dann wird er weiterhin einkaufen.

(Bitte, wir erinnern uns, ein Produkt = ein Gegenstand, ein Prozess oder eine Dienstleistung; oder gar eine Mischung daraus.)

Kundenbeziehungen oft nicht definiert

Wenn wir die Beziehung nicht definieren, dann entsteht sie so, wie sie eben entsteht, zufällig und abhängig vom jeweiligen Gesprächspartner des Kunden in der Organisation. Das ist nicht nur zufällig, es ist wahrscheinlich auch unterschiedlich für jeden Kunden. So lassen sich Lieblingskunden und weniger willkommene Kunden einfach erklären.

Ich spreche hier von Organisationen, weil diese Überlegungen für jede Körperschaft gelten, nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Vereine, Behörden, Ministerien, etc.; sie alle haben »Kunden« und müssten sich eigentlich um beste Beziehungen zu ihnen bemühen.

Im »9 Schritte zum besseren Business Model« schreibe ich auf Seite 65 »Eine Beziehung ist das wechselseitige Verhältnis von Menschen untereinander.« Wir erkennen dabei, Beziehungen sind reziprok, also aufeinander bezüglich, gegenseitig begünstigend. Ein Lieblingskunde ist uns dann vielleicht deshalb so sympathisch, weil wir ihn auch so behandeln, weil wir uns sympathisch geben; ein unbequemer Kunde ist es, weil wir ihn nicht so zuvorkommend und willkommen gegenüber treten.

Ja, es gibt Situationen, in denen man verzweifelt, weil der andere so eigen, so speziell ist. Aber ist es nicht auch dann nur eine Frage der Empathie, des freiwillige gegebenen Einfühlungsvermögen, des Verständnis-aufbringens? Wenn wir uns der Sache mit Herzen annehmen, dann kann auch dieser Kunde, wenn schon nicht zum Lieblings-, dann zumindest zu einem guten Kunden werden. Am Ende erleichtern wir uns damit unser Leben, weil wir mindestens einen Ärger vermeiden. Unseren Ärger.

Wobei das selbstverständlich nicht heißen soll, dass man sich ausnützen lässt. Ist die Beziehung inkompatibel, dann ist es klug, zum Selbstschutz die Beziehung abzubrechen. Auch zum Kunden.

Gut, ich halte nochmals fest, ist nicht definiert, wie die Kundenbeziehung sein soll, dann entsteht sie zufällig; manchmal gut, manchmal ruppig. Zunächst könnte man sagen, von Mensch-zu-Mensch ist das in Ordnung. So sind die eben. Die Menschen. Man muss sich ja nicht treffen. Von Organisationen-zu-Mensch oder Organisation-zu-Organisation ist das problematischer.

Verhalten wirkt reziprok und imageprägend

Das Verhalten einzelner Personen hat gravierende Auswirkungen auf das Image einer Organisation bei den Menschen. Das Verhalten der Mitarbeitenden gegenüber den Kunden ist imageprägender als ein Prospekt oder die Website. Dieses so genierte Image, das ist letztlich die Marke!

Marty Neumeier hat das in seinem Buch »Brand Gap« (S.2) sehr gut definiert, was eine Marke ist: Das Bauchgefühl der Menschen über eine Organisation oder ein Produkt. Wir alle haben ein ähnliches Gefühl über Coca-Cola, über BMW oder Ikea. Diese Gefühl ist die wahre Marke, nicht das was im Brand-Book steht, das niemand (außer der Mitarbeiter) liest. Die Marke ist letztlich das, wie die Kunden die Organisation erleben.

In »Brand Flip« (10 Jahre später geschrieben) erklärt er uns weiters – und zeigt damit die dramatischen Auswirkungen eines zufälligen Images (Marke) –, dass Kunden heute keine Marke mehr kaufen, sondern sich einer Marke anschließen. Sie nutzen die Marke als Zeichen, um sich zu identifzieren, um ihre Zugehörigkeit zu einem Tribe zu signalisieren, bei gleichzeitig hohem Interesse an Eigenständigkeit. Deshalb iPhone (Apple-Tribe) mit spezieller Schutzhülle und Screensaver (individuell).

Die so entstehende Beziehung ist das Ergebnis von Corporate Behaviour (CB) und Corporate Communication (CC) – wenn es Corporate« ist, also wenn sich alle daran (mehrheitlich) halten. Die Beziehungen spielen sich dabei klarerweise immer auf der Mensch-Ebene ab, mindestens zwischen Mitarbeiter und Konsumenten im B2C, aber natürlich auch zwischen den Mitarbeitenden im B2B-Segment. Wie die miteinander umgehen, erzeugt ein Image. Beim Konsumenten ein singuläres, das sich erst im Laufe der Zeit durch Mundpropaganda auf alle Kunden verbreitet, im B2B unter den Mitarbeitern weit schneller und vermutlich auch prägender, schwieriger zu korrigieren, weil man es sich übern Schreibtisch hinweg erzählt oder ankündigt oder nach einem Telefonat, einer eMail beschwert (das ist der Lieferant X, der ist immer schwierig; der Kunde Y ist ein Wahnsinn).

Wenn das Marketing CB und CC definieren und die Mitarbeitenden nicht verstehen, welche Beziehung zu den Kunden gewünscht ist, dann laufen Werbung/Marketing und Kundenerlebnis auseinander.

Wir kennen alle genug Beispiele, wo die Werbeabteilung großartige Botschaften und Bilder plakatieren lässt, mit zuvorkommenden Mitarbeitern und fröhlichen Kunden, und wir im Alltag just das Gegenteil erleben, schmutzige Abteile, unwirsche Mitarbeiter und gar nicht glücklich dreinschauende Passagiere.

Das Regelwerk (CB, CC) zu erstellen und dann darauf hoffen, dass sich das passende Verhalten ergibt, erscheint mir die falsche Reihenfolge.

Viel günstiger ist es doch, wenn wir zuerst tief darüber nachdenken, wie denn die Kundenbeziehung tatsächlich sein soll. Definieren ich die gewünschte Beziehung und leite ich daraus die anderen Definitionen (für CB und CC) ab, dann kann ich erwarten, dass die Kunden konsistente Erlebnisse haben und ich daher eine starke Marke entwickle.

Kunden kaufen Zugehörigkeit

Ich muss mich also mit den Beziehungen beschäftigen und daraus Konsequenzen für CB, CC ziehen. Und natürlich ergeben sich daraus auch Vorgaben für das Servicedesign (SD), also für die zu erzeugenden Erlebnisse an den einzelnen Kontaktpunkten der Kunden mit der Organisation, für die Kundenreise (aka Customer Journey), denn letztlich sind es genau diese Touchpoints, diese Erlebnispunkte, die die Beziehung generieren.

Wenn wir die Brand Commitment Matrix des Marty Neumeier (aus »Brand Flip«) hernehmen, dann ist vollkommen klar, dass wir für die Definition der von uns gewünschten Beziehung zu unseren Kunden unsere Werte als Ausgangspunkt verwenden. Diese Werte müssen – wenn wir erfolgreich sein wollen – mit den Eigenheiten (den Sitten, den »Mores«) der Kunden-Sippe (Tribe) in irgendeiner Weise harmonieren, irgendwie zusammenpassen.

Die Werte sind die Wurzel der angestrebten oder entstehenden Beziehung zwischen den Kunden und der Organisation. Die Beziehungen leiten sich aus den Werten der Organisation ab.

Unser Ziel muss demnach sein, diese Kundenbeziehungen kontrolliert und bewusst zu steuern und nicht zufällig entstehen zu lassen. Eben passend zu den Firmenwerten, damit sich die Marke entwickeln kann. Damit sie sich so entwickelt, wie wir uns das wünschen. Damit sie unseren Kunden die Möglichkeit bietet, sich damit zu identifizieren, zu markieren, sich erkennbar zu geben.

Wir müssen also zuerst die Beziehungen definieren, bevor wir uns mit Marketing und all den Kanälen beschäftigen, mit denen wir unsere Kunden erreichen wollen. Auch die Wahl der Kanäle hat Einfluss auf die Beziehung. Also müssen wir die Beziehung definieren, damit wir die dazu passenden Kanäle auswählen können und nicht durch die Wahl des Kanals die Beziehung unkontrolliert geschehen lassen.

Bleibt die Frage: Wie kann man die Beziehung definieren?

Wie soll man sie definieren? Wie eng, wie breit? Vermutlich ist das Wort, das wir für gewöhnlich im Business-Model-Canvas auf dem Post-it notieren, nur ein Platzhalter für eine Menge an Bedeutungen. Die müssen wir auch festhalten und beschreiben. Im Klartext, für unser zukünftiges Ich. Heute wissen wir noch, was wir damit meinen, aber in einem halben Jahr?

Dann können wir das auch den Mitarbeitenden weitergeben. Auf eine Weise, mit der die auch etwas damit anfangen können. Ein Thema für HR/die Personalleitung.

Schließlich müssen wir uns noch fragen, wie wir die Mitarbeiter dazu bringen, an diesem Beziehungsaufbau aktiv und positiv mitzuarbeiten. Wenn ich die Hausaufgaben gemacht habe, wenn ich weiß, wie die Werte meiner Organisation lauten und mich danach verhalte, wenn ich weiß, warum ich mache, was ich mache (das WHY), dann wählte ich höchstwahrscheinlich schon passende Mitarbeiter aus. Es kamen ja nur jene, deren Why mit dem meiner Organisation übereinstimmt.

Es ist eine Frage der Werte, die eine Organisation für sich wichtig erachtet. Der Unternehmer ist letztlich entscheidend. Beim Klein- und Mittelbetrieb wird der Inhaber, die Chefin, diese Werte automatisch vermitteln, bei größeren Organisationen ist das nicht mehr so einfach. Wie gut kann sich ein Manager des C-Levels identifizieren, wenn er weiß, dass er nur vier Jahre im Unternehmen bleibt? Bei Steve Jobs war das klar, da gab es offensichtlich eine hohe Identifikation. Überhaupt scheint es mir früher eindeutiger gewesen zu sein: Alfred P. Sloan war General Motors, fertig; Howard Schultz ist Starbucks, Herb Kelleher ist Southwest Airlines. Deren Ansprüch sind so stark, dass alle an einem Strang ziehen. Aber wenn ein Unternehmen in den Streubesitz kommt, dann wird das schwammig, dann brauchen wir saubere Unterlagen, klar formuliert, und disziplinierte Umsetzung. Eine Post, ein Magenta, eine Wienenergie schafft das nicht mehr. Schade.

Und wie würde man es festhalten und erkennen, ein paar Beispiele:

  • im private Banking wäre die Beziehung persönlich und individuell, da sitzt der Bankangestellte neben dem reichen Kunden und hat alle Zeit der Welt diese 100 Millionen zu managen;
  • in der Bank ist es selbstbedient, oft sogar desinteressiert, jedenfalls höchst unterschiedlich, abhängig vom persönlichen Interesse des einzelnen Mitarbeiters an Menschen (und wohl auch von seiner Tagesverfassung);
  • beim Billa ist die Beziehung auch selbstbedient, wieder unterschiedlich interessiert, eben personenabhängig, abhängig vom Filialleiter, von der Führungsmannschaft;
  • hingegen früher (in den 1970ern/80ern) als es noch Meinl-Filialen gab, da war es selbstbedient, aber immer zuvorkommend (man grüßte jeden Kunden, wenn man ihm begegnete), man verhielt sich kompetent, als Kaufmann – aber vielleicht habe ich dazu einen verklärten Blick in meine Kindheit;
  • dann noch einmal Gegenwart: Amazon, wieder selbstbedient, sogar automatisiert und trotzdem massiv serviceorientiert – ich würde sogar sagen, deren Customer Support (in AUT, soweit ich ihn erlebte) ist der Benchmark (dazu in Kürze mehr).

Osterwalder sagt uns zum Feld Kundenbeziehungen, dass wir auch den Zweck eintragen sollen. Das erscheint mir ein wenig kurz gegriffen. Es ist klar, dass ich mit Kunden den Umsatz steigern will, dass ich Kunden gewinnen will, dass ich Stammkunden entwickeln will. Oder doch nicht? Vielleicht will ich nur Laufkundschaft, die einmal kauft und dann nie wieder? Aber wieso würde ich das wollen und welche Effekte erwarte ich mir davon? Wenn ich das als Hinweis dafür nehme, dass ich täuschen könnte, weil Kunden sowieso nie mehr kommen, dann wird sich das auch herumsprechen. Wenn ich in Tourismusgebieten einmal hier seiende Touristen übervorteile, dann hat das auch Auswirkungen auf den Ort, die Region, das Land; es ist Image erzeugend.

Der Zweck erscheint mir nicht entscheidend, denn selbst wenn ich mich für Laufkundschaft und einmaligen Verkauf entscheide, heißt das nicht, dass ich schlampig und unfreundlich sein könnte, ohne dass das Auswirkungen auf mein Image (also die Marke) hätte.

Wobei ich hier keinesfalls sage, wie eine Kundenbeziehung sein soll (zuvorkommend und nett), sondern dass sie definiert sein soll. Man kann sich auch für distanziert und kühl, abweisend oder frech entscheiden, wenn man das als erfolgversprechend ansieht. Abercrombie & Fitch haben ihre Stores extra laut und extra uneinsichtig (vernagelte Auslagen) angelegt und waren damit äußerst erfolgreich. Es geht nicht darum wie, sondern dass die Kundenbeziehungen definiert werden.

Wie? Darüber müssen wir philosophieren.


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