Innovation-Briefing Nr. 32

15/04/2023

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8:30 – Gänserndorf, Graz, Salzburg, Wien. Wieviel soll man in Innovation investieren? Eine Frage, die immer wieder auftaucht in unseren Innovation-Briefings: die Frage nach der Investitionsbereitschaft. Die einfachste Antwort dazu ist, man etabliert einen Stage-Gate-Prozess. Aber einfach ist das nur als Überschrift. Will man es umsetzen, beginnt wieder die Ratlosigkeit: Wozu brauche ich es, welches Ergebnis erwarte ich, bis wann, etc. Also wieder umfassende, dabei durchaus sinnvolle, Vorarbeit, die – ist sie nicht sorgfältig genug durchdacht – wieder nicht die erwünschten Ziele erreichen hilft; muss ich doch für jedes Gate die passenden Kriterien definieren. Ob die auf alle Fälle anwendbar sind, müssen wir auch noch im Vorfeld klären.

Werner kürzt ab und erinnert uns: die praktikabelste Formel ist »der leistbare Verlust«. Wenn wir den definieren, dann wissen wir, wieviel Aufwand wir betreiben sollen und wann wir lieber mit der Arbeit an einer Sache stoppen. Dieser leistbare Verlust ist das Geld oder die Zeit, um die mir vielleicht ein wenig schade ist, hab ich es oder sie vertan, aber die mich (meine Organisation, meine Position, meine Reputation) nicht gefährden. Ist doch der erste Verlust, der geringste.

Also arbeite ich an einer Idee (bis zum ersten Gate) solange, bis ich entweder erfolgreich bin oder dieser leistbare Verlust verbraucht ist. Dann stoppe ich die Arbeit. Zumindest vorerst. Es kann ja auch sein, dass nach einiger Zeit des »Abliegens« für eine Innovation neue Potentiale oder Lösungsansätze gefunden werden. Nebenbei, während der Arbeit an anderem.

Doch Werner weiter: es geht ja nicht nur um den leistbaren Verlust, den könne man gut definieren. Manche Organisationen definieren unterschiedliche Budgets, aus denen die diversen Projekte und Aktivitäten finanziert werden. Auch ein Innovationsbudget. Doch wenn es viele Ideen gibt, also viele potentielle Innovationen entstehen können, für welche soll man sich entscheiden? Alle kann man nicht bis zum leistbaren Verlust ausprobieren. Dieser Verlust wäre dann wieder nicht leistbar. Also muss man entscheiden, man muss die Ideen (potentielle Innovationen) priorisieren.

Wie könnte die Priorisierung gelingen?

Man definiert die von einer Idee, die zur Innovation – also der realisierten Idee – wurde, erwartbaren Effekte. Werner probierte bei sich einen Schnell-Check zu etablieren (Kriterien erlauben eine schnelle Vorabprüfung, ähnliches hatte einmal auch Peter schon vorgeschlagen), der es ihm ermöglicht die Ideen auszusieben. Problem dabei: man fand keine (für die Organisation und deren Produkte) passenden Kriterien, die man auf alle Ideen gleichartig anwenden konnte. Es sind zu viele Personen (Stakeholder) beteiligt. Diese stimmten bei keiner der Kriterien synchron, jeder hatte seine eigene Perspektive und ein demokratisches Abstimmen (im allgemeinen schon ein mangelhaftes Verfahren) führt im Kontext Innovation meistens zum Scheitern.

Warum scheitert die Abstimmung mit Mehrheit im Regelfall? 

Weil jeder seine Interessen verfolgt, was macht Freude, was ist bequem, und dazu passend abstimmt. Gewinnt die eigene Präferenz nicht (und manchmal sogar auch dann) fühlt sich der Einzelne nicht verantwortlich dafür, sondern meint, das abstimmende Gremium wäre dafür verantwortlich – also niemand. TEAM in diesem Zusammenhang heisst dann meist: Toll Ein Anderer Machts.

Im vorliegenden Fall konnte man keine Einigung finden warum Marktchancen gut oder schlecht für eine Innovation sind. Das ist nicht verwunderlich, denn »der Experte kennt nur einen Weg zum Erfolg, nur der Laie unendlich viele.«

Und der Experte ist keineswegs immer der Experte, wenn es um Innovation geht. Er weiß zu viel darüber, was nicht funktioniert und wenn er das nicht ausblenden kann, dann ist er vom Falschen blind überzeugt. Sensationelles Beispiel dafür ist Steve Balmer von Microsoft – höchst erfolgreich, aber eben auch innovationsblind.

Also ist kein valider Prozess bisher zustande gekommen.

Man muss sich besonnen mit der Sache auseinander setzen. »Neutral« hätte ich statt »besonnen« schreiben wollen, aber das gelingt in den seltensten Fällen. Man ist selbst immer in einem Netz an Interessen verheddert. Also brauchen wir nicht von »neutral« oder »objektiv« sprechen, sondern sollen uns bloß dieser Tatsache bewusst sein und sie in unseren Überlegungen berücksichtigen – so gut es geht.

Ist es wohl überlegt, welchen Nutzen wer von einer Idee, die verfolgt wird, hat – hat man also das erste Prinzip auch hier angewandt – dann gibt es eine Person, die sich für eine Sache, für die sie brennt, mit Feuereifer einsetzt, sich dafür verantwortlich fühlt, voran prescht, damit die anderen mitreißt (Leadership zeigt) und somit alle gemeinsam dieser Vision jener Person entgegen stürmen. Dann bedeutet TEAM: Together Everyone Achieves More.

In so einer Kooperationsstimmung gelingt das Projekt, weil es Überzeugung gibt. Eine überzeugte Person ist immer die Mehrheit. Sie hat in den meisten Fällen zunächst nur eine oder eine sehr kleine Gruppe (vgl. die Gebrüder Wright). Die sind enthusiastisch genug und reißen dann die anderen mit, geben nicht auf, probieren immer wieder, bis der Erfolg gelungen ist. 

Wie lange würde man das Modell Gebrüder Wright anwenden? 

Bis der leistbare Verlust an Lebenszeit und Geld eingetreten ist. Dann muss man konsequent den Stecker ziehen und das Projekt stoppen, damit man nicht ein Leben lang einer Sache nacheifert, die (zumindest für den Moment) ohne Erfolgsaussicht ist. Wenn sich die nächste Gelegenheit ergibt und sich Kairos zeigt, dann ist man schon besser vorbereitet, die Gelegenheit beim Schopf zu packen – oder man ist erst durch diese Vorarbeiten in der Lage, die Gelegenheit zu erkennen.

Wie kann es gelingen die Kriterien zu finden?

Ein Stage-Gate-Prozess erscheint uns nach wie vor als ideale Vorgangsweise, sofern es gelingt, die Kriterien für jede Stage zu definieren. Nach Werners Erfahrungen in den Debatten über zu verfolgende Ideen/Innovationen gibt es zwei Personentypen: jene, die immer das Negative in einer neue Idee sehen, die Gefahr oder das Überflüssige, und jene, die sich schnell für das Neue begeistern können. Beides ist wichtig. In der Praxis passiert es aber häufig so, dass je nach Charakter und Temprament sich die eine oder andere Person(engruppe) durchsetzt. Nicht, weil sie das besser Argument hat, weil sie nachweisen kann, dass es so oder so ist, sondern weil sie charismatischer, penetranter, bestimmender ist – oder der Chef.

Wir brauchen ein Verfahren – eine Hilfestellung –, um diese Stimmungen zu kanalisieren. Wir wollen diese Meinungen nicht unterbinden, weil sie ihre Funktionen haben, wertvolle Ergänzung sind, aber wir wollen fundierter entscheiden. Glücklicherweise haben wir dieses Verfahren. Edward de Bono hat es uns in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts geschenkt: die sechs Denkhüte. Ausführlich beschreibt er das Verfahren in seinem Buch »Das Sechsfarben-Denken« (oder original: »Six Thinking Hats«)

Ich habe dazu ein Arbeitsblatt zusammengestellt, das ich dir gerne weitergebe. Schreib mir einfach eine eMail mit dem Betreff: »6-Farben-Innovationstest« und ich sende dir das Arbeitsblatt zu.

Das de-Bonosche Verfahren ist eine Informationsquelle. Indem wir die Fakten (weiß), die Emotionen (rot), die positiven (gelb) und negativen (schwarz) Facetten, die Möglichkeiten (grün) und einen Plan (blau) notiert haben, haben wir eine neue Entscheidungsgrundlage geschaffen und die Gruppe der Entscheider synchronisiert. Das könnte das erste Gate sein, recht günstig, weil es nur die Vorbereitung und diese Gesprächsrunde der Entscheider (oder »des Teams«) braucht.

  • Die Vorbereitung des Teams erfolgt dabei wohl am besten auf eine Art, wie sie uns Dale Carnegie einmal beschrieben hat, ergänzt mit der Vorgangsweise, die Jeff Bezos anwendet. 
  • a. Jeder Teilnehmer erarbeitet sein Statement vorab, z.B. mit dem Argumentationsbaum- oder dem Problemlöser-Arbeitsblatt und dann
  • b. lesen alle gemeinsam in der Sitzung diese Texte durch.
  • c. Jetzt erst beginnt die Debatte und wir diskutieren mit Hilfe der sechs Denk-Hüte und bewerten damit die Ideen. Dazu tragen wir die Erkenntnisse im Arbeitsblatt ein.

Ein weiteres Verfahren, mit dem wir die Innovation bewerten (vielleicht ist das ein ideales nächstes Gate), ist das Business-Model-Canvas. Auch das – so Werner – ist bestens geeignet zu verhindern, dass man sich von einer Facette (z.B. technisch höchst interessant) mitreißen lässt, denn es zwingt uns auch andere Facetten einer Idee zu beleuchten und zu bedenken.

Es liefert – gemeinsam mit dem 6-Denkhüten – Argumentationsmaterial.

Was macht ein EPU?

Conrad wünscht sich mehr Innovationszeit, überlegt zwei Tage die Woche in der einen Verpflichtung tätig zu sein, zwei Tage eigene Projekte zu bearbeiten und will sich einen Tag in der Woche mit Innovationen beschäftigen und dafür auch Interessenten finden. Das ist eine Form des leistbaren Verlusts. Er kann es sich offenbar leisten einen Tag »gewöhnliche« Arbeitszeit zu »opfern« und dafür an Dingen zu arbeiten, die bei Erfolg drastisch besser bewertete (aus seiner Sicht) Ergebnisse liefern.

Georg wiederum leistet sich Hackatons – das heißt ein Wochenende oder gar eine Woche einem Thema widmen und an den Ideen arbeiten, sie ausloten und zu einem Ergebnis treiben, das die Beurteilung ermöglicht und die Idee meist auch schon konkret verwertbar (oder anwendbar, jedenfalls auf eine Weise nutzbar) macht.

Die Pomodoros, die ich letztens beschrieb, sind eine andere Form eines leistbaren Verlusts. Du investierst an die 30 Minuten, um ein definiertes Ergebnis zu generieren, dass dir die weitere Einschätzung der Idee erlaubt. Damit wären wir zum einen wieder beim oben beschriebenen Stage-Gate-Prozess und zum anderen wieder bei der Fragestellung nach brauchbaren (universellen?) Kriterien.

Georg erzählt von einer Vorgangsweise bei McKinsey, mit der man zu Ideen für Kunden kommen (könnte). Demnach würde man eine beliebige (sinnvolle, vertrauenswürdige) Idee auswählen und im Rahmen eines Workshops davon ausgehen, dass diese Idee genial wäre. Dann würden alle Teilnehmer passend vorbereitet diese Idee verifizieren oder falsifizieren, systematisch – das ist das Projekt.

Letzlich ...

Letzlich geht es darum für die Bewertung einer Innovation herauszufinden, wo sie gut (nützlich, praktisch, lukrativ) ist und wo man nur glaubt, dass sie es wäre.

Das ist die Crux. Es passiert uns, dass wir uns in unseren Annahmen verstricken und dann nicht mehr erkennen, was tatsächlich der Fall ist und was wir uns dazu denken. Wer in der Flasche sitzt, kann das Etikett nicht lesen.

Die Lösung?

Ein Sparringspartner, ein Externer, dessen primärer Vorteil der ist, dass er extern ist. Du nutzt den Sparringspartner als Reflexionsfläche für deine Gedanken und deine Ideen. Wenn der den Stand deiner Erkenntnisse erahnt, dann stellt er jene Fragen, die dir dabei helfen zu erkennen, was der Fall ist und wovon du nur glaubst, dass es der Fall ist. Die schonungslose, an der Erkenntnis interessierter Debatte führt zur tragfähigen Entscheidungsgrundlage.


PS: Wann immer du über eine Produkt-Innovation nachdenkst, du hast vier Möglichkeiten mit mir in Kontakt zu treten:

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