Innovation-Briefing Nr. 16

19/08/2022

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8:30 – Salzburg, Wien. Wir setzen fort, wo wir letztens aufhörten und erörtern die Frage: Was ist Innovation?

In den meisten Fällen (in meinem Umfeld) wird zunächst und spontan Innovation immer mit Technik, mit einer technischen Neuerung gleichgesetzt. Kurz nur, ein Gefühl. Sagt jemand, man müsse innovieren, so denken viele (ganz kurz, im Bauch) an Smartphones, Elektroautos, dann an Digitalisierung, an Edison und Tesla (dem Erfinder), vielleicht auch an Musk. Dann, ein paar Mikrosekunden später, könnte man auch an Ingvar Kamprad denken. Der hat ja den Möbelverkauf innoviert, indem er sie zerlegt verkaufte und damit den Transport erleichterte und Kosten reduzierte. Damals, in den 1950ern.

Das macht den Innovationsbegriff ein wenig breiter (obwohl man auch da die Technik, das Verpacken, strapazieren könnte). Ich nenne es eher eine Prozess-Innovation. Man könnte es auch als Service-Innovation bezeichnen. Wenn schon nicht das Konzept des Prosumers (des selbstproduzierenden Konsumenten, er vervollständigt ja erst das Produkt, ist also genaugenommen Teil des Produktionsprozesses und wird auch optimiert eingeplant, -gebaut, -designt) als Service-Innovation ausreicht, dann auf jeden Fall die Umsetzung der Idee, die Kunden, die ins entlegenen Agunnaryd (das Dorf in Schweden aus dem Kamprad kommt, das A in Ikea) zum Einkauf reisten, mit Speis und Trank (gegen Bezahlung) zu versorgen (das Ikea-Restaurant ist schon eine alte Innovation – es war so erfolgreich, dass sich Ingvar bei der Premiere sorgte, die Decke würde einstürzen, weil sich so viele Menschen im ersten Stock, eben diesem »Restaurant«, aufhielten; es gab diese typischen Schwedischen Zimtschnecken.).

Überraschend war für mich, dass meine Wahrnehmung in unserer Runde der Innovation-Briefing-Diskutanten sich nicht bestätigte. Werner meinte sofort, er sähe Innovation keineswegs so eng definiert und auf Technik eingeschränkt. Auch Gerard empfindet Innovation deutlich breiter definiert – keine Wunder, er ist der Markendramaturg und innoviert im Tourismus. Das kann technisch sein, aber in Wahrheit braucht es Gespür für die Geschichte des Ortes und die Emotionen der Menschen (jene vor Ort und jene, die den Ort besuchen (sollen)). 

Kurz, Innovation, da waren wir uns einig, betrifft keineswegs immer Technik! Innovation kann in Prozessen stattfinden, es kann eine Formenwelt neu gedacht werden (»formale Innovation«, sagen manchen Designer dazu), es kann eine Innovation in der Lebensführung sein, »Lifestyle-Innovation«.

Das ist es, was ich meine, das Designer machen, wenn sie behaupten, sie würden Innovation liefern aber keine Erfinder sein (also keine technische Innovation erschaffen). Diese Designer erschaffen entweder neue Formen von Gegenständen oder sie erschaffen ein neues Lebensgefühl (durch das Design von Gegenständen oder Prozessen oder Dienstleistungen). Das eine (die Form) eher flach und oberflächlich, aber durchaus wertvoll, das andere (die Prozesse und Services) häufig disruptiv, das Leben verbessernd, zumindest verändernd (was bedeutet schon besser? Siehe auch Satz Nr. 3: »Designen verbessert das Leben der Menschen«). 

Der Designer verändert bei der Lifestyle-Innovation seine Rolle, wandelt sich vom konkreten Umsetzer hin zum Facilitator, zum Coach und Sparringspartner. Er nutzt dann seine Herangehensweise, aka Design-Thinking, und verhilft damit dem Unternehmer und Manager zu neuen Einsichten, zur Neuordnung (oder Ordnung) der Gedanken und Ideen, er bringt damit die Kundensicht ein, vertritt deren Interesse und trägt damit dazu bei ... die Welt zu verbessern. Gemeinsam mit dem Unternehmer, der das Risiko schultert in der Annahme, dass er wüsste was die Menschen einst kaufen werden wollen. (Du weißt, der Wettbewerb, dem sich der Unternehmer stellt.)

Diese Rolle des Designers ist oft nicht klar. Man meint, Design-Thinking wäre eine strukturierte, streng formalisierte Vorgangsweise, um Innovation zu schaffen, diese tollen Idee, diese kundenzentrierten. Das trichtert uns der Mainstream so stark ein, dass manche Kollegen an ihrer Vorgangsweise zu zweifeln beginnen. Sie wähnen sich »unstrukturiert«, weil sie zur Lösung eines Problems (die Grenzen des Designs sind ident mit den Grenzen der Probleme) sinnierend beobachten, Vorgaben und Annahmen in Frage stellen, Fakten und Emotionen sammeln – ich nenne das, »der Design-Schwamm saugt sich voll« – und dann im Diskurs, durch Zeichnen, Schreiben, Reden diesen Datenhaufen in eine Ordnung bringen und ... eine Innovation entstehen lassen – das nenne ich, »der Design-Schwamm presst sich aus und gibt das Design-Konzentrat frei«, die Essenz, die Idee, die zur Innovation reifen kann. Dann stellt der Designer, nein*, der Designer stellt die »Warum-und-Wie-Fragen«, was war, was war euch und was ist euch wichtig, wie tickt die Welt heute, was wollt ihr erreichen. Auf diese Weise erhält das Ergebnis der Designarbeit eine Tiefe und Breite, es entsteht Neues. (* Es ist kein definierter Prozess, daher kann es auch kein »dann« geben.)

Manchmal ist die Innovation bloß der Transfer eines historischen Fakts in die Gegenwart. Eine Neuinterpretation von etwas Bestehenden oder Bekannten. Das ist auch notwendig, denn eine Innovation nennt man eine realisierte Idee, aber eine verkaufbare Innovation ist eine anschlußfähig realisierte Idee. Anschlußfähig wird das Neue nur, wenn die Menschen es mit Vertrautem verknüpfen können. Innovation nennen wir es, weil es das Vertraute eben neu, das heißt zeitgemäß, interpretiert und anbietet. 

So kann man auch diesen Drift zur Digitalisierung verstehen, was ja in Wahrheit bloß bedeutet, dass wir uns der ICT, der Information und Communication Technology, bedienen, um unser Leben zu vereinfachen. Die Technik soll uns Untertan sein und unsere innovativen Prozesse ermöglichen. Ein Essen-Liefer-Service, ein Privat-Übernachtungs-Management, eine Auto-bei-Bedarf-Nutzung gäbe es nicht ohne dieser technischen Hilfen.

Der Designer, der wie oben beschrieben vorgeht, wähnt sich unstrukturiert und wünscht sich Design-Thinking (in der Mainstream-Bedeutung) anzuwenden, dabei ist er weder unstrukturiert, noch muss er Design-Thinking lernen. Design-Thinking ist genau diese Herangehensweise, die von außen (und manchmal auch von innen) unstrukturiert und chaotisch erscheint. Doch ist es trotz dieser Wahrnehmung eine höchst effiziente, zielgerichtete Arbeitsweise für größtmögliche Wirkung unter den gegebenen Umständen.

Design-Thinking ist Innovation!

Am Ende driften wir etwas ab, in die Untiefen der Verhaltensökonomie, Politik, Gesellschaft (Untiefen sind das, weil es kontrovers ist, weil es emotional ist, weil man es höchst unterschiedlich auffassen kann; bitte lies mit Nachsicht und offenem Geist). Wir starteten das letzte Mal mit der Idee, dass es durch Innovation gelingen kann (mit den passenden Werkzeugen) nachhaltiges Verhalten (gemeint war damit »verantwortungsbewusster Umgang mit unserem Lebensraum«) in den Köpfen der Mitarbeitern zu verankern. Aber dieser Nachhaltigkeitswunsch, dieser Wunsch nach einem Erhalt unseres Lebensraum, ist eine Frage der Werte, der Unternehmens-Werte, der Unternehmer-Werte. Letztlich ist der einzelne (und mündige!) Konsument entscheidend (»sapere aude!«).

So fragten wir uns: kann es »Ökonomische Innovation« geben? Gelingt Nachhaltigkeit (im obigen Sinne, Umwelt erhaltend) im Kapitalismus? Wer ist verantwortlich für das Verhalten der Bürger, der Konsument allein oder der Unternehmer? Wenn der Konsument etwas nachfragt, dann wird der Unternehmer diese Nachfrage befriedigen. Das ist Kapitalismus, besser Unternehmerwirtschaft, und das brachte uns Wohlstand: das Nachgefragte wird erfüllt. Oder sind Bürger mittlerweile so naiv, dass sie einen moralisch gefestigten Unternehmer brauchen, der einfach keine Heidelbeeren oder Erdbeeren aus Peru oder Spanien im Winter liefert? Wer ist verantwortlich für das Verhalten des Einzelnen? Braucht es wirklich den allwissenden Politiker, der weiß und entscheidet und regelt, was uns gut tut? Den gibt es nicht!

Nein, der Designer hat das Ziel dem Menschen zu dienen, nützlich zu sein – Design ist für alle da! Papanek hat das gepredigt, Kamprad wollte das, Aicher setzte sich dafür ein, wir alle Designer wünschen uns letztlich das Leben der Menschen zu verbessern, das der Konsumenten, der Nutzer, der Kunden, der Manager und der Unternehmer. Das ist nicht einfach. Ich schreibe darüber im vierten Band der »6 Sätze über Design«: »Designen verbessert das Leben der Menschen« (Übrigens mit September steigen die Preise dieser Serie.) Darin steht auch, dass der Designer ein »wohlgesonnener Diktator« ist. Diktator, weil er meint zu wissen, was dem Kunden nützlich ist; wohlgesonnen, weil er dem Kunden die freie Wahl lässt.

Im nächsten Innovation-Briefing wird es wohl spannend werden. Wie geht diese Geschichte aus? Kann es auch eine »Ökonomische Innovation« geben? Ist die freiwillig oder diktiert? Diskutiere mit, melde dich an.


PS: Wann immer du über eine Produkt-Innovation nachdenkst, du hast vier Möglichkeiten mit mir in Kontakt zu treten:

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