Das war ein fantastisches Design-Thinking-Abendgespräch vorgestern. 80 Minuten erlaubten einen tiefern Gedankenaustausch, daher hier ein längerer Bericht. Wir haben ein paar spannende Punkte angeschnitten. Die Fragen der Teilnehmer dienten als Kristallisationskeime, die sich dann auch als valide Statements dargestellt haben.
Der Vorteil ist die Sprunghaftigkeit. Design-Thinking ist ja kein Prozess, sondern vielmehr ein Nicht-Prozess und die Sprunghaftigkeit, diese Vernetzungskompetenz der Design-Thinking-Anwender (Designer), ist die Inspiration für die fokussierten Manager-Thinking-Anwender (Manager). Darüber schrieb ich schon im legendären Artikel über »Die Wahrheit über Design-Thinking«.
Genau das brachte auch bisher den Mehrwert – diese Kombination der beiden Denkweisen, wie es im Artikelabschnitt 7 dargestellt ist. Dieser Fortschritt passiert immer dann, wenn das vernetzende Denken mit dem fokussierten zusammentrifft.
Wir brauchen uns nicht weiter an den Mythos »Design-Thinking« klammern. Design-Thinking ist nicht neu, es ist kein Zauberprozess, es ist bloß von IDEO um die Jahrtausendwende elegant ins Bewusstsein des Managements gespielt worden. Tatsächlich finden sich Ursprünge in den 1980ern und sogar 1960ern. Ich erläutere das überblicksartig im Buch »Das andere Buch über Design-Thinking«, denn in der Tat ist es höchste Zeit mit dem Hype aufzuhören und Design-Thinking als weitere Arbeitsweise, neben den BWL-klassischen (und parallel!), zu nutzen. Ja, es erlaubt und eröffnet eine sensationelle und agile Herangehensweise und unterstützt ergebnisoffen zu arbeiten (danke für dein Statement, Martina) und das ist genau der entscheidende Punkt.
»Was rät man also jemanden, der Design-Thinking im Allgemeinen kennt und in seinem Workshop einsetzen will?« Dass er sich dieser Schlüsselfunktion bewußt ist und ergebnisoffen an eine Sache herangeht. Ich nenne es die »kultivierte Naivität« des Designers. Der kann es sich erlauben zu fragen, was das sein soll, wozu es gut ist, wie es funktioniert, warum es so und nicht anders sein muss, etc. Er kann fragen wie ein Kind, dieses Verhalten pflegt er, deshalb kultiviert. Denn wir können es im Alltag immer wieder beobachten: die erschütternden (disruptiven) Neuerungen kommen meist von Menschen aus anderen Branchen, denn die Branchenexperten – jene, die ihr Geschäft genau und seit Jahrzehnten kennen – wissen was nicht möglich ist. Die Branchenfremden wissen das nicht und machen es einfach. (Ungefähr so gelingt das, das ist verkürzt dargestellt, aber der Kern der Sache)
Wenn wir den Mythos auflösen und differenziert und ganzheitlich darüber diskutieren, dann erkennen wir Design-Thinking als eine Denkweise, die auch dazu nutzbar ist neue Geschäftsmodelle zu entdecken, weil diese kultivierte Naivität Zugänge freilegt, die sich einem »g’scheiten Erwachsenen« nicht zeigen. Kultivierte Naivität erfüllt die Forderung nach Ergebnisoffenheit, nach neugierig Alternativen suchen. Gepaart mit Empathie, also in diesem Fall der Fähigkeit sich in die Lage der Kunden zu versetzen, gelingen damit Produkte (Gegenstände, Prozesse und Dienstleistung) die sich nahtlos in das Leben einfügen – wie Magie.
Kultivierte Naivität erlaubt das In-Frage-stellen des Status Quo, ermöglicht ein Seitwärts-Denken, wie es uns de Bono schon seit den 1960ern nahelegt.**
Kultivierte Naivität heißt in diesem Zusammenhang auch, dass der Design-Thinking-Anwender (A) als »Profikunde« agiert, der kann sein Verhalten reflektieren und verbalisieren, er kann übersetzen zwischen Kunde und Techniker/Sachbearbeiter und das Ideal formulieren.
Weil er (B) kein Fachmann in diesem Gebiet ist, weiß er auch nicht, was nicht funktioniert, und getraut sich dieses Ideal zu nennen. Er (z.B. der Designer) muss keinen Gesichtsverlust befürchten, weil es ja anerkannt ist, dass er nicht im Detail, nicht so tief über ein Produkt Bescheid weiß wie ein COO, CFO oder CEO.
Seine (C) Menschenfreundlichkeit läßt ihn akzeptieren, wie die Menschen sind, erforschen und lernen, wie sie ticken und das beste anbieten. Er weiß was herauskommen soll, aber nicht wie schwierig das ist, also probiert er es aus. Er überprüft laufend seine Hypothesen. So entstehen die Innovationen.
Wir wollen, dass die Dinge gut funktionieren. Sie sollen zuallererst gut funktionieren und dann bloß nicht-hässlich sein. Donald Norman erklärt das recht anschaulich in einem TED-Talk. Natürlich muss man dabei immer genau überlegen, was die primäre Funktion eines Produkts ist. Ein Gegenstand könnte primär zur Repräsentation genutzt werden wollen oder ist bloß da, weil er einem sehr, also ausser-ausserordentlich gut gefällt. Ein Stuhl zum Beispiel (oder eine Zitronenpresse 😉 ) Mein Lieblingstuhl ist der Besprechungsstuhl .03 von Maarten van Severen. Zu Hause verwende ich zusätzlich einen Severen .07. Mir gefällt die grafische Qualität. Der Stuhl hat gut funktioniert im Home-Office, solange ich täglich im Büro arbeitete. Ich saß immer nur kurz auf diesem Stuhl, ein, zwei Stunden vielleicht. In Zeiten der Quarantäne aber saß ich 8 Stunden darauf. Dafür ist er nicht gebaut. Schade. Aber er sieht gut aus, weniger büroig und damit ist es akzeptabel. Freilich, wenn man auch lange Zeit sehr gut darauf sitzen könnte, wäre es besser. Würde ich Abstriche bei der Formqualität machen? Vermutlich ja, denn das bequeme lange-Sitzen ist die Kernfunktion eines Bürostuhls, oder? [Sind Sie anderer Meinung? Dann freue ich mich auf Ihre Anmerkung unten.]
Zuerst (!) müssen die Dinge gut funktionieren, d.h. sie so anzubieten, dass sie sinnfällig sind und dann sollen sie trotzdem schön anzusehen (zu erleben) sein, das die Aufgabe der Designer – das sind nicht nur die akademischen Gestalter, sondern alle Personen, die etwas eine Form (sichtbar oder erlebbar) geben, mithin oftmals auch die Manager. Donald Normans Prinzipien sind ein Element von Design-Thinking. Daran erkennen wir: schöne Form allein, ein »mir gefällt’s« allein, ist zu wenig. Ein Schalter (eine Schalterleiste) im Auto muss zuerst ohne hinzusehen bedienbar sein und soll dann auch schön aussehen. Es muss sinnfällig bedienbar sein, im Auto für viele Menschen, im Flugzeug-Cockpit für trainierte Spezialisten, aber immer so, dass die Fehlerwahrscheinlichkeit reduziert, nein, minimiert wird. Keinesfalls darf die Fehlerwahrscheinlichkeit der Optik wegen steigen! Die Schalter sollen notfalls unterschiedliche Formen haben oder sie sind speziell angeordnet. Eine Reihe von Lichtschaltern im Besprechungsraum ist dann z.B. quer angeordnet, statt wie üblich vertikal. Damit kann der Eintretende intuitiv erfassen, welches Licht mit welchem Schalter eingeschalten wird. Derzeit ist es nicht immer leicht den richtigen Schalter zu verwenden, manchmal recht knifflig. Dass es sinnfällig ist (also gut funktioniert) und gleichzeitig schön, das ist das »Design-Sudoku«.
So stellt sich auch die Frage nach dem Äquivalent zu Industrie 4.0 für Dienstleistung. Was wäre Dienstleistung 4.0? Wir haben das vor ein paar Wochen auch in diesem Kreis diskutiert und nannten das Ziel (das es noch genauer zu spezifizieren gilt) in Anlehnung an die Bank N26 für die Design-Community »D26«. Wenn man es auf den Punkt bringen will, dann sollen die Dinge nahtlos passieren, wie magisch erscheinen. Das ist »Service 4.0 in a Nutshell«.
Die oben erwähnten Elemente, so erkannten wir in unserer Diskussion, gelten auch für Service-Prozesse. Auch eine Dienstleistung und ein Prozess können schön sein! Doch zuvor müssen auch sie »gut funktionieren«. Für die Nutzer, das sind zuerst die Kunden! Wer einmal einen Pflegeantrag ausfüllen musste, weiß was ich meine: dieser Antrag ist für die Kinder der Pflegebedürftigen, die heutigen Leistungsträger Mitte 40 oder 50, schon schwierig zu verstehen. 70- oder 80-Jährigen sind damit hoffnungslos überfordert. Die Sprache ist auch für der Sprache mächtige, aber eben Nicht-Juristen, eine Herausforderung.
Ein »Schöner Prozess« ist jener, in dem der Kunde »seine Antwort« bekommt, die richtige, passende, eine die das akute Problem löst. Die Handlung soll ein positives Erlebnis darstellen. Das ist schwierig, denn »positiv« wird sich für jeden Kunden anders definieren. Es ist uns klar, das müssen wir anstreben. Doch hören wir, dass Manager keine schönen Serviceprozesse nachfragen, sie interessieren sich offenbar nicht (nur wenig) dafür. Stimmt das? Nein. Es gibt Manager, die danach streben. Doch auch sie sind Fachleute ihres Bereichs und erkennen manchmal nicht die notwendigen Umwege im Denken, die zum gewünschten Erfolg führen oder sie stehen ebenso unter dem Zwang diverser Firmen-Policies. Sie sehen keine Möglichkeit Konzernvorgaben aufzulösen.
Ein Ansatz dafür – und ein Fingerzeig Richtung »Service 4.0« – könnte Susannes Kommunikationsplattform sein: üblicherweise fokussieren diese Plattformen auf eine bessere Kommunikation im und zwischen den Teams und nehmen dann den Kunden mit. Team Sisu stellt den Anspruch die Kommunikation mit dem Kunden in den Vordergrund zu stellen und bietet mit gotally das passende Hilfsmittel dazu an.
Design-Thinking regt an Übersetzer, Auslegender (Interpreter), zwischen Kunden und Fachkraft zu sein, damit ein Produkt besser wird. Der Call-Center-Agent übernimmt im Idealfall diese Position eines Keyinterpreters: kann der zusammenfassen und auslegen, was beim Kunden zum Problem führte und kann er das so darstellen, damit der Techniker das Produkt (den Serviceprozess) korrigieren kann, dann verbessert sich das Produkt (KVP) derartig, dass die Telefonhilfe seltener angerufen werden muss.
Wenn die Information klar übertragen werden kann, dann können auch die Serviceprozesse besser sein. Dazu muss der Organisation selbst klar sein, welches Problem der Kunden sie löst. Es ist kaum zu glauben, aber das ist heute noch immer nicht jedem Unternehmer und seinen Mitarbeitern bewußt.
Gelingt es das Mindset der Mitarbeiter (der gesamten Organisation) so zu kalibrieren, dass sie danach streben den Kunden zufrieden zu stellen anstatt die Bottom-Line zu fokussieren, dann werden auch die Serviceprozesse besser (und schön). Jeder fühlt es, dass es so ist. Jeder stimmt zu. Was hindert uns also daran, dieses Mindset zu generieren?
Damit werden wir uns im nächsten Design-Thinking-Abendgespräch beschäftigen.
Wie es andere Serien-Unternehmer schaffen erfolgreich zu sein und welche Prinzipien sie anwenden, werden wir im nächsten Seminar der Design-Thinking-Akademie besprechen. Marcus Ambrosch, Österreichs Effectuation-Pionier, beantwortet die Frage »Ist unternehmerisches Design lernbar?«.
Wer einmal Design-Thinking erleben will, den erinnere ich an die Design-Thinking-Experience im September bei Blaha Büromöbel.
Also published on Medium.
[…] Wir knüpfen kurz ans Ende des sechsten Design-Thinking-Abendgesprächs an und erinnerten uns an die offene Frage: Was hindert uns daran, einen kundenorientieren Prozess […]