… fragte ein Freund kürzlich in die Runde. »Das kann doch nicht sein, dass die Kreativen als erstes gefressen werden, das stimmt doch nicht?«, fragte er weiter.
Doch, sage ich, Industriedesign war immer schon ein Add-on, in vielen Fällen, es ist (auch) eine Funktion für mehr Konsum. Diese Verwerfungen im Design wurde nun sichtbar. Jährlich eine neue Variante eines Gegenstandes auf den Markt zu bringen, nur damit es neu ist, ohne sonstigem erkennbaren Mehrwert, war schon immer bedenklich. Aber der Mensch leidet an »Neophilia«, der Lust am Neuen, erklärt uns der Anthropologe. Viele Kollegen griffen diese Gier nach Neuem auf und gestalteten Einzigartiges und Begehrlichkeit. Designer, die sich mit diesem Faktum nie auseinandersetzten und stattdessen dem Credo folgten, wonach die Wirtschaft jährlich wachsen muss, die dabei auch vergaßen, dass sie zu einer privilegierten Minderheit gehören, die sich »Schönes« leisten kann, weil die Grundversorgung gegeben ist, die meinten, dass ein Wasserglas aus Musselinglas klarerweise »läppische« 38 € oder 44 € kosten muss und die Ikea 1 € Gläser verschmähten, sich lustig machten über jene, die sich diese Gläser kaufen (müssen), diese Kollegen erleben nun ein böses Erwachen.
Berufe, die sozial niedrig bewertet wurden, bekommen nun wieder ihren wahren Stellenwert zugewiesen. Plötzlich ist der Generaldirektor, der Banker, der Designer (!) nicht mehr der Star der Gesellschaft, sondern die Personen, die die Nahversorgung aufrecht erhalten, die Leute im Supermarkt, der Zusteller, der LKW-Fahrer, die Menschen, die die Infrastruktur am Leben erhalten, die Wasserversorgung, Strom und Internet. Nicht dass es die Führungskräfte in diesen Wirtschaftszweigen nicht braucht, aber ihre Bedeutung ist wieder auf ein normales Maß geschrumpft – wir erleben eine Korrektur. Das ist für manche von uns ein Schock. Da ist man verwundert, dass »statt der Kreativen, die die Welt gestalten wollten, plötzlich andere Berufe wichtig sind.« Wer sich nicht mit den Implikationen unseres Berufs (Design) auseinander gesetzt hat, ist natürlich jetzt überrascht.
Wer allerdings immer schon mit dem konsumanregenden Aspekt des eigenen Berufs haderte, der findet sich schnell zurecht. Denn natürlich braucht es auch in Zukunft »Design«, und das mehr denn je, betone ich hier. Design im allgemeinen, Industriedesign im speziellen ist bloß zurückgeworfen auf seinen Ursprung. Die Dinge müssen funktionieren und sollen dann »nicht-häßlich« sein. Designen soll das Leben der Menschen verbessern.
Verbessert ist es dann, wenn technische Funktion klar erkennbar ist, wenn man weiß, wofür ein Gerät gebraucht wird und wie man es nutzt. Wir knüpfen (endlich) wieder an, wenn nicht gar bei Victor Papanek, dann bei Donald Norman und seinen Prinzipien. Wir schaffen keine Begehrlichkeiten und feuern den Konsum an, sondern wir verbessern das Leben, indem die Dinge nützlich und praktisch sind – und bei dieser Gelegenheit gerne auch »schön« – ich nenne es »nicht-häßlich«.
Designer können Einfluß auf die Industrie, auf die Gesellschaft ausüben, können Veränderungen einleiten. Sie müssten bloß die Mechanismen der Wirtschaft verstehen und keinen (linken) Luftschlössern nachhängen. Der Mensch handelt als Einzelner immer zu seinem Vorteil. Das muss nicht zwangsläufig zum Nachteil der anderen sein. Der Designer kann Kraft seiner Denkweise Strategien entwickeln, bei denen der Vorteil für den Einzelnen auch ein Vorteil für die Gesellschaft ist. Das ist der Schlüssel zur Lösung und auch der Grund, warum designen der Schlüsselfaktor für wirtschaftlichen Erfolg ist. Wir müssen aufklären, informieren, erlebbar machen, dass ökologisch günstige Produkte Sinn machen. Nicht mit erhobenen Zeigefinger, sondern mit besseren, freudvolleren Erlebnissen. Der Mensch soll sich (und er wird es dauerhaft auch nicht) für die Entbehrung entscheiden, sondern für die Freude, für den Überfluss. Aber nicht auf Kosten der Umwelt, sondern zu deren Vorteil. Cradle-to-cradle, Circular Economy, Circular Design, etc. sind die Schlagworte, die es mit Leben zu erfüllen gilt. Design kann Aufklären, die Designer sind sich dessen entweder nicht bewußt oder wollen es diktatorisch erzwingen – manchmal sogar mit Hilfe der Regierungen, die entsprechende Gesetze erlassen sollen. Doch der Mensch soll endlich (wieder) eigenverantwortlich agieren, sich selbständig für das Bessere entscheiden, weil er es erkennt. Dass er es erkennt, das ist eine Aufgabe des Designs und der »Kreativen«, dann bekommen sie wieder einen Stellenwert, der relevant ist.
Designer können Motorräder entwerfen und Smartphones, sodass die Konsumenten immer das neueste Modell begehren, sie können aber auch kluge Lehrsysteme und Inkubatoren für Afrika entwerfen. Letzteres ist relevant und wird es auch nach Covid-19 bleiben. Trinkgläser die nur in besonders aufwändiger Handarbeit hergestellt werden können, sind nach Covid-19 wohl verzichtbarer Luxus.
Überhaupt stellt sich die Frage nach dem Mehrwert von Handarbeit, wenn Maschinen den Menschen von der Knechtschaft der Industrie befreien können. Welchen Wert hat es, wenn Menschen vorm Hochofen ausharren müssen, wenn das auch ein Roboter erledigen kann? Wie heißt es in Star-Trek? „Wir arbeiten, um uns selbst und die Gesellschaft zu verbessern.” Das soll nach Covid-19 unser Streben sein. Die »Kreativen« können dabei mithelfen. Aber immer nur indem sie die passenden Anreizsysteme entwerfen, nicht indem sie (vermeintlich) »richtiges« Verhalten erzwingen. Egal welcher Gesinnung eine Diktatur entspringt, es ist eine Diktatur, eine Entmündigung der Menschen. Wir wollen aufklären, den Menschen aus seiner neuen Unmündigkeit herausführen (wenn wir es selbst geschafft haben). Linke Utopien und mißverstandener Sozialismus hindern uns vereinzelt noch, dabei ist die eigentliche Heimat der »Kreative« ursprünglich der Liberalismus. Aber darüber mehr ein andermal.
Der Designer ist ein Katalysator für die Problemlösung. Seine Herangehensweise beim Lösen der Probleme und Gestalten von Gegenständen, Prozessen und Erlebnissen (Dienstleistungen) ist bekannt unter dem Begriff Design-Thinking. Dieser Fähigkeit soll man sich in Zeiten des Covid-19 bedienen und die wird auch danach höchst relevant bleiben. Der Mensch soll sich an den Dingen erfreuen, sie sollen auch schön sein. Ergänzt mit bewußter Wertschätzung und Achtung dessen, was uns gegeben wurde.