Kein Mensch braucht Innovation! Oder doch?

10/06/2023

Kommentar

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Innovation ist ein überschätzter Hype oder tatsächlich unverzichtbar? Ist es ein Mythos der Innovation und können Unternehmen auch ohne sie florieren? Brauchen wir Konsumenten oder die Unternehmen wirklich Innovation?

Zum einen sind sich alle einig: ohne Innovationen stirbt ein Unternehmen.

Zum anderen können alle auch der Aussage »es geht so auch« zustimmen. Es ging jeweils kurz davor auch ohne Telefon, ohne Radio, ohne Fernsehen, klar, auch ohne Computer sind wir zurecht gekommen, ohne Internet sowieso und ganz besonders ohne Smartphones.

Das klingt jetzt vielleicht übertrieben, denn die Mehrheit kann sich die Welt nicht mehr ohne Smartphones vorstellen, schon gar nicht ohne Internet (die Wirtschaft würde vermutlich kollabieren) und Computer sind allgegenwärtig – selbst mein neuer Monitor ist ein eigenständiger Computer (sie sagen, er sei auch »smart«).

Zur obigen Aussage hab ich aber noch »Wozu brauchen wir das?« im Ohr, als das iPad vorgestellt wurde und ich höre es gerade wieder: Wozu brauchen wir so eine Datenbrille, so ein Apple VisionPro? Was soll das bringen? ... »Es geht so auch!«

Na gut, wir brauchen keine Innovationen, weil ... »Es geht so auch!«

Zum dritten aber klagt die Gesellschaft, wenn Unternehmen, von denen man es gewohnt ist, keine Neuigkeiten präsentieren. Die letzte große Neuigkeit von Apple ist fast 10 Jahre her und die war mäßig spektakulär: die Uhr. September 2014 war das.

Dazwischen freilich präsentierte dieses Unternehmen viele kleine Neuigkeiten, Kopfhörer unterschiedlicher Ausformung und Preislage und machte viele Verbesserungen an den bestehenden Produkten. Es war also nicht Nichts – aber es war zu wenig.

Neophilia ist das Problem

Der Mensch leidet an Neophilia – an der Lust am Neuen – wie mir mein Design-Thinking-Tank-Kollege Michael Leube (der Anthropologe immer erzählt). Man will Neues erleben, sehen, haben, man fragt einander: »Was gibt’s Neues?« und ist enttäuscht, wenn die Antwort lautet: »Nichts, alles wie immer.«

Wir wollen Neues hören, Neuigkeiten erfahren, neue Produkte vorgestellt bekommen. Auf der anderen Seite aber, soll alles so bleiben, wie es ist. Jedenfalls sollen wir unsere Gewohnheiten nicht ändern müssen. Wir wollen alle unsere Routinen erhalten wissen. Ein neuer Anmeldeprozess, ein neuer Weg zur Arbeit, ein neues Organigramm, etc. – wozu? »Es geht auch so [ganz gut].«

Wir könnten doch darauf verzichten und beim Bewährten bleiben?

Also wozu brauchen wir Innovation, zum Überleben?

Wozu ein neues Arbeitsgerät, warum soll das nächste große Ding dieses »Spacial Computing« sein? Wir haben die Smartphones für unterwegs – die weren immer größer, damit wir mehr darauf machen können – und wir haben Monitore, die sich um unseren Arbeitsplatz winden, immer breiter, immer gekrümmter werden die.

Luigi Colanis Küche aus den 1970ern ist kein Breitenphänomen geworden, aber diese Bildschirme hätten es fast geschafft. Fast, weil wir ja jetzt mit dieser Brille konfrontiert wurden. Wir werden sehen, wie sich das weiterentwickelt.

Ist es unmöglich als Unternehmen zu überleben, ohne laufend Innovationen anzubieten und müssen diese Innovationen disruptive, also markterschütternde Erneuerungen sein?

Reichen »normale« Innovationen, also evolutionäre Verbesserungen, nicht aus, die neu, also innovativ sind, weil sie eben, wenn auch nur in Nuancen, besser sind?

Nein, die Medien sehen das anders. Sehe ich mir die Berichterstattung über Apple an, dann erwarten die Medien (und manche Kunden) laufend bahnbrechende Neuerungen. Ein iPhone, das so aussieht wie sein Vorgänger, aber mit kleinen Verbesserungen in der Hardware, langweilt die Masse, die Journalisten sowieso. Dabei – Steve Jobs sagte das – muss sich eine Organisation glücklich schätzen, wenn ihr eine revolutionäre Erfindung in ihrer Karriere gelingt und bei Apple war es damals (2007, als er das bei der iPhone-Präsentation sagte) schon die dritte (nach Macintosh 1984 und iPod 2001).

Innovation als Fragenkomplex

Um diese Frage nach der Notwendigkeit von Innovation grundsätzlich beantworten zu können, müssen wir eine Menge Teilfragen stellen und uns Klarheit darüber verschaffen.

Wenn ich Innovation brauche, dann welche Art Innovation?

Was ist überhaupt »Innovation«, wie definiert es der Hauptstrom, wie definiere ich es, welche Definition nützt uns in dieser Debatte und welche, um ein Unternehmen erfolgreich zu machen?

Eines können wir sofort sagen: Innovation als Selbstzweck, als mutwillige Erneuerung, ist nicht notwendig. Ist eine Innovation bloß eine neue Form, Art, Methode einer bewährten Sache (einer Situation, werde ich im fünften Band der »6 Sätze über Design« schreiben), dann ist sie wertlos. Eine Situation zu erneuern ohne sie zu verbessern ist Verschwendung.

Weiß ich, wie ich etwas mache, habe ich ein Werkzeug, mit dem ich etwas erreiche, etc. und überlege ich eine neue Vorgangsweise nur, damit sie anders und also neu ist, ändere ich das Werkzeug nur, damit es ein anderes ist, dann ist es nicht nur wertlos, sondern es schadet auch. Ich muss den Umgang mit dem Prozess oder dem Werkzeug neu lernen, mich an Neues gewöhnen. Sind die Kosten dafür höher als der Nutzen, dann ist es ein Verlust. Die Kosten sind immer höher, wenn der bisherige Nutzen nicht verbessert wird – wenn also keine Verbesserung der vorgefundenen Situation bewirkt wird, sondern es eben nur anders und daher neu ist. Die Kosten sind dabei nicht nur Geld, sondern auch Zeit, Geduld, fehlende Routine, in Folge auch Harmonie und Kooperationsunwillen, soziale Kosten.

Jetzt könnte klar sein, warum man Design braucht, wenn man Innovation wünscht. Eine Innovation, die nicht Selbstzweck sein will, will den Status Quo (die vorgefundene Situation) verbessern. Satz 2 der »6 Sätze über Design«: »Designen verändert eine bestehende ungüstige Situation derart, dass sie einem Ideal nahe kommt.« Es geht nicht um das Neue, es geht um das Bessere!

Design ist der Schlüsselfaktor

Die finale Motivation zu innovieren ist, einen bestehenden Mangel zu beheben. Dazu muss ich diesen Mangel erkennen. Mit den »3 Kerneigenschaften für Design-Thinking« gelingt es: Mit Empathie erkenne ich, was der Nutzer kann und erreichen will, mit Interpretationskompetenz kann ich Thesen für Verbesserung formulieren und mit Entscheidungsmut verfolge ich meine Idee und realisiere sie. Ich erschaffe die Innovation. Es ist die Herangehensweise der Designer, die in den letzten 20 Jahren auch außerhalb der Design-Szene immer populärer wurde und als Design-Thinking bekannt ist.

Wenn Innovation eine Verbesserung ist, dann taucht damit die nächste große Frage auf: Was ist »das Bessere«? Darüber schreibe ich im dritten Satz der »6 Sätze über Design«: »Designen verbessert das Leben der Menschen.«

Damit kommen wir der Beantwortung der Frage »Was ist eine Innovation?« ein wenig näher. Landläufig sagt man, eine Innovation sei eine realisierte Idee. Aber eine bloß realisierte Idee muss keine Verbesserung einer Situation sein. So eine Innovation brauchen wir nicht. Die rettet keine Unternehmen, macht nicht zwangsläufig erfolgreich.

Erfolgreich macht eine Innovation eine Organisation nur dann, wenn sie gewünscht, d.h. wenn sie gekauft wird. Wir müssen also danach streben, verkaufbare Innovationen zu erschaffen.

Innovation muss verkaufbar sein

Verkaufbar ist eine Innovation dann, wenn sie Nutzen stiftet, also diese erträumte Verbesserung in Aussicht stellt.

Doch kennen wir alle tolle neue Produkte, die das Leben der Menschen verbessert hätten, und die dennoch kein Erfolg waren. Man sagte in diesen Fällen, die Innovation war ihrer Zeit voraus. Und manche ergänzen mit der weisen Erkenntnis, dass der Erfinder selten wohlhabend wird, sondern erst jener, der diese Erfindung kopiert. Tatsächlich gibt es dafür zahlreiche Beispiele, aber die Ursache sehe ich woanders.

Ja, Xerox hat die Schreibtisch-Fenster-Metapher und die Mausbedienung erfunden, aber erfolgreich wurde sie mit Apples Macintosh – und den ganz großen Durchbruch brachte erst Windows95 – beides, Apple und Microsoft also Nachmacher – die einen besser, die anderen schlechter.

Auf der anderen Seite ist da James Dyson, der Erfinderdesigner, der die Idee zum Zyklon-Staubsauger hatte, ihn erfand, entwickelt und nicht locker ließ, bis er tatsächlich erfolgreich war. Ein harter Weg, eine Ausnahme, aber ein Hinweis, dass es nicht fix ist, dass der Erfinder nicht erfolgreich sein wird.

Ich sage euch, es ist unabhängig davon, ob man der Erfinder oder der erste Nachahmer ist, ob die Zeit reif oder unreif ist. Eine Innovation ist dann erfolgreich – und solche brauchen wir in der Tat –, wenn sie anschlussfähig ist.

Anschlussfähig ist eine Innovation dann, wenn ich sie in meinen Alltag einfügen, wenn ich sie daran andocken kann. Das erfordert zum einen oben erwähnte Verbesserung (also Design zum Ersten) und es erfordert eine entsprechende Kommunikation, (Design zum Zweiten). Damit das gelingt braucht es Einfühlungsvermögen, Interpretationskompetenz und Entscheidungsmut (Design zum Dritten) – die »3 Kerneigenschaften für Design-Thinking«.

Es gibt demnach keine Innovationen, die zu früh kamen. Wenn Innovationen gescheitert sind, dann weil die Menschen nicht wussten, wofür sie sie verwenden sollten. Sie wussten nicht, wie sie diese Neuerung in ihren Alltag integrieren sollten. Die Innovation war nicht anschlussfähig und daher nicht verkaufbar. TiVo ist so ein Beispiel, aber auch der Tablett-PC von Microsoft Anfang der 2000er. Die Menschen, die Mehrheit verstand nicht, was damit zu tun ist und warum das wichtig wäre. Die Businesspläne waren zu rosig formuliert und der Graben, den es zwischen den Early Adopters und der frühen Mehrheit zu überwinden gilt, nicht berücksichtigt.

Eine Artikel-Serie über Innovation

Diesen Artikel entwickelte sich zu einer Art Vorwort für eine längere Auseinandersetzung mit dem Thema Innovation, als eine Art Vorwort für eine Artikel-Serie und auf jeden Fall ist er (und die Serie) »Gedankenhumus« für unsere Innovation-Briefings (bitte melde dich gerne an, wenn du mithören oder mitdiskutieren willst), denn diese Themen werden wir bestimmt vertiefend diskutieren.

Zu diskutieren im Innovation-Briefing und hier in Textform gibt es einiges. Welche Idee soll ich weiterverfolgen, wird diese dann auch anschlussfähig sein, wie kann ich das einschätzen und woher nehme ich überhaupt eine Idee, durch die eine Situation verbessert wird?

Dann will ich darüber diskutieren, ob jeder innovieren muss und woran ich erkennen kann, dass ich es muss.

Überhaupt ist zu untersuchen, ob innovative Firmen tatsächlich (ob ihrer Innovationen allein) erfolgreicher sind als andere und in welcher Kategorie sie es sind.

Braucht also kein Mensch Innovation?

Nein – die Menschen brauchen Innovation, denn das verbessert ihr Leben. Innovation ist Design, das bewusste, absichtsvolle Verändern von Gegebenheiten.

Natürlich können wir uns auch eine Welt vorstellen, in der wir zufrieden leben, mit dem was wir haben. Dann wird der Bedarf an Innovation sinken, sich asymptotisch einem Optimum annähern.

Wir können mit den heute weit verbreiteten kleinen, mittleren und auch größeren Bildschirmen unsere Wissensarbeit erledigen. Mit vielen und großen Bildschirmen ginge das vielleicht besser. Sind diese Bildschirme aber im Raum verteilt und nur virtuell vorhanden, so könnte das besser sein – für diese Arbeit. Stellt sich die Frage: brauchen wir diese Wissensarbeit? Ja, sie hat uns letztlich den Wohlstand gebracht, den die Welt insgesamt erlebt – wir alle, Hans Rosling präsentiert das sehr anschaulich, haben gewonnen. Das ist die Folge von Innovation.

Wir brauchen Innovationen, verkaufbare Innovationen, Innovationen, die unser Leben bereichern, verbessern, lebenswerter und freudvoller machen.


PS: Wann immer du über eine Produkt-Innovation nachdenkst, du hast vier Möglichkeiten mit mir in Kontakt zu treten:

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