Zwei große Themen wurden im Vorfeld aufgeworfen: Ideenentwicklung und Innovationsökosystem. Über jedes der beiden könnte man einen Tag referieren. Man kann es aber auch – ganz der Forderung Wittgensteins folgend – in ein paar Sätzen verdichtet abhandeln. Wenn man es kann.
Für die Ideenentwicklung schafft man ein die Inspiration förderndes Umfeld und nutzt befreiende Methoden und Werkzeuge.
Bewährt hat sich in meiner Praxis zum einen die »Open Space Technology« von Harrison Owen, die ich in abgewandelter, ev. auch unorthodoxer Form anwende, eben genau so, wie es mir für meine Ziele (die meines Auftraggebers) nützlich erscheint. Dabei definieren wir (der Auftraggeber und ich) ein Rahmenthema und dann geben wir (Space deutet es ja schon an) diesem Thema Raum zur Bearbeitung. Die konkreten Themen liefern die Teilnehmer. Harrison Owen beschreibt das sehr gut in seinem Buch.
Eine andere, sehr taugliche Methode um die Ideenentwicklung in Gang zu bringen, habe ich erst kürzlich wieder mit großen Erfolg angewandt: 16 Teilnehmer generierten 247 Ideen mit 465 Post-it in rund 31 Minuten. Das gelingt mit meinem Circle-Brainstorming.
Diesen (und anderen) Methode lagere ich je nach Situation einen Innovation-Jam oder einen Designsprint nach. Der Innovation-Jam ist dabei offener, die Themen breiter, der Designsprint (mehrere Microsprints) ist ihm implizit. In mehreren Iterationen entwickeln wir aus einer vagen Idee, eine erste Vorstellung, ein zartes Pflänzchen, das vorsichtig erstes Grün durch den Humus der Inspiration und des Knowhows des Unternehmens schimmern läßt.
Der Designsprint ist da schon etwas kräftiger, verlangt aber auch schon konkreteres Wissen. Das war es dann auch, was die Teilnehmer dieses Mal im Innovation-Briefing besonders interessierte.
Zum Designsprint habe ich ein kleines Workbook in einer Art Public-Beta-Stadium. Es kann als Hilfe für einen Facilitator fungieren oder für die Selbstarbeit genutzt werden. Ich verwende das Modell, das Jake Knapp ab 2010 entwickelte und 2016 der Welt präsentierte – wie üblich für die Design-Thinking-Herangehensweise – nicht sklavisch nach Rezept, sondern adaptiere es situativ. Wesentlich ist die Struktur, die sich dann in unterschiedlichen Formaten ausbreitet (vorausgesetzt der Faciltator kennt sich berufsbedingt, weil er als Designer schon selbst damit arbeitet, aus — bei »ich war immer nur Facilitator« wäre ich skeptisch).
So nutze ich Jake Knapps Modell »korrekt« in fünf Tagen oder passe es der Verfügbarkeit der Teilnehmern an. Wir nutzen diese Struktur auch, freilich krass modifiziert, in den 90-Minuten-Iterationen des Innovation-Jams (siehe oben, als Micro-Sprints). Diese Struktur des Daten erfassens und Aktivität fokussieren, Ideen sammeln und generieren, Ideen konkretisieren und Prototyp planen, Prototyp bauen und schließlich von echten Usern testen lassen, lässt sich bis auf 90 Minuten quetschen (vielleicht auch mehr, wenn man geübt ist) und auf zwei Wochen ausdehnen (wenn es ein komplexeres Thema ist). Man könnte einen Sprint auch auf vier Wochen anlegen, aber dann würde das Element der schnellen Überprüfung einer Lösung verloren gehen. Vier Wochen zu verwenden bis neue Erkenntnisse vorliegen, ist zu lange – das ist kein Sprint. Zwei Wochen sind mir schon zu viel, aber manchmal muss man sich an die Verfügbarkeit der notwendigen Personen richten. Darauf zu pochen, dass alle ihren Kalender für eine Woche frei machen müssen (was freilich die beste Vorgangsweise wäre) hilft nicht. Wir sind nicht den Buchstaben des Gesetzes verpflichtet, sondern unserem Gewissen. Das gilt nicht nur für die Gesetze der Regierungen, sondern auch für die »Gesetze« der Methoden. Im Design-Thinking ganz besonders.
Wenn jemand sagt, das muss so und so sein, sonst wäre es nicht Design-Thinking, dann weißt du, diese Person hat keine Ahnung von Design-Thinking, denn so einen Zwang gibt es bei unserer Herangehensweise nicht. Das Ergebnis zählt und (fast) jedes Mittel ist recht dafür.
Knapp nennt sieben – das entspricht auch meiner Einschätzung. Es können notfalls auch 10 sein, aber das ist fast zu viel. Da besteht die Gefahr der Gruppenbildung und die Abstimmungsdiskussionen könnten ausufern. Fünf wird oft als untere Grenze genannt, das garantiert noch eine Vielfalt und Abwechslung, eine ausreichende Menge an Alternativen aus denen die Gruppe wählen kann. Doch ich habe schon Sprints mit nur zwei Teilnehmern (also insgesamt waren wir zu dritt) erfolgreich und ideenreich durchgeführt.
Wesentlich erscheint es mir, dass der Entscheider Teil des Sprintteams ist, dass der am Beginn definiert wird und Übereinstimmung/Zustimmung darüber herrscht, wer es ist und, dass er mitmacht. Der Entscheider ist jene Person, die die Verantwortung für das Ergebnis und damit die Konsequenzen tragen muss. Das Team hilft ihr bei der Entscheidung durch Abstimmungen, aber letztlich muss der Entscheider tief im Herzen überzeugt sein vom Ausgewählten. Auch dann, wenn das nicht die Mehrheitsmeinung ist. Was ist es denn schon, diese Mehrheit, eine statistische Größe, die Diktatur der 51-Prozent? Nein, es braucht Überzeugung, denn nur dafür kann man brennen und das ist notwendig, wenn man erfolgreich sein will: für die Idee zu brennen.
Ich wende diese Vorgangsweise an, um eine Projektidee zu überprüfen, eine Vorgangsweise, ob Nutzer (User) mit einem Produkt (einem Gegenstand, einem Prozess oder einem Service) zurechtkommen. Ob sie erkennen können, was sie tun sollen/können/müssen; ob sie die von ihnen gewünschte und von mir bereitgestellte Leistung erhalten. In einem Designsprint finde ich Lösungen für kritische Punkte in einem Prozess und überprüfe sie sogleich, sodass ich am Ende der Woche entscheidend weitergekommen bin in meinem Projekt. Ich bearbeite damit signifikante Themen, nicht ob ein Button einer App links oder recht, rot oder blau sein soll – also im Regelfall. Freilich können solche Fragen gelegentlich auch relevant sein und einen Sprint rechtfertigen, aber für gewöhnlich sind es einschneidendere Problemlösungen.
Zum Beispiel hätte man bei der Wiener App für den PCR-Gurgeltest in mehrerer solcher Designsprints diese drastischen Interface-Fehler vermeiden können und wäre dennoch rasch am Markt gewesen – was ja damals notwendig war. (Abgesehen davon, wären wir User gnädig gewesen, wenn die erste Version Schwächen hat, aber das nach über einem Jahr keine Verbesserung stattfindet, eine Verbesserung aus Benutzersicht, das ist ein Armutszeugnis. Wenn sogar mit der Technik vertraute Menschen hin und wieder vergessen auf den Abschlußbutton zu klicken, dann ist das ein UX-Versäumnis).
Die wirtschaftliche und markttaugliche Bewertung einer Geschäftsidee prüfe ich anders – das Business-Model-Canvas ist dabei eines meiner Werkzeuge, das ist klar. 😉
Es war eine bereichernde, interessante Debatte, die wir da führten. Mit dem Business-Model-Canvas erkennen wir, woran wir arbeiten sollten, der Designsprint ist eine Möglichkeit, wie wir das kritische Feld bearbeiten können. Es ist eine mögliche Vorgangsweise der Ideenentwicklung. Insofern haben wir beide eingangs gestellten Fragen beantwortet, denn Designsprint ist ein nützlicher Bestandteil eines Innovationsökosystems.
Werner schrieb mir dann auch »@Briefing heute: war wieder ein voller ›Gewinn‹ für mich. Hab da auch noch eine Idee, ...«
Komm’ doch auch zum nächsten Treffen! Das findet in etwas mehr als einer Woche statt (alle zwei Woche) — melde dich gleich an: https://rudolfgreger.at/innovation-briefing.
Eigentlich wollte ich ja »Vom Lieblingskunden zum Wertversprechen« besprechen, aber wenn die Teilnehmer interessante Themen aufwerfen, dann haben die natürlich Vorrang. Daher lautet übernächste Woche das Thema vielleicht »Vom Lieblingskunden zum Wertversprechen«. Dafür gibt es auch ein Arbeitsblatt.
PS: Wann immer du über eine Produkt-Innovation nachdenkst, du hast vier Möglichkeiten mit mir in Kontakt zu treten:
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