Innovation-Briefing Nr. 18

14/09/2022

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8:30 — Salzburg, Wien. Im Home-Office, im Kaffehaus, im Seminarraum. Die Orte, an denen uns wir Teilnehmer befinden, initiieren das Thema der heutigen Debatte. Wo entsteht die Innovation, wo findet man die Inspiration, woher kommen die Ideen?

Das Kaffeehaus ist (historisch belegbar, also empirisch bestätigt) ein Hort der Kreativität. Ein Kreativraum. Vermutlich (aus Wiener Sicht) deutlich effizienter als die viel strapazierte Dusche.

Das ist deshalb relevant, weil ich kürzlich erst wieder über die mit Inbrust vorgetragene These stolperte, wonach Design-Thinking spezieller Räume bedarf. Man zeigte mir stolz die eigene Anschaffung und beteuerte, wie kreativ man dort, in diesen 15...20 Quadratmetern sein würde. Auch die vorgeschriebene (vorgeschlagene) Literatur meiner neuen, weiteren Dozententätigkeiten wirft sich mächtig ins Zeug, um die Wichtigkeit dieser speziellen Räume zu betonen.

Die Dusche wird wohl deshalb so häufig als Ort der Idee genannt, weil es bei vielen von uns eine der ersten Tätigkeiten nach dem Aufstehen ist – zu duschen. Der Geist ist entspannt, wir haben unsere Eindrücke des gestrigen Tages in der Nacht verarbeitet, einsortiert, Verbindungen hergestellt, etc. Klar, dass diese neuen Synapsenverbindungen nun anfangen zu feuern und ... da ist er, der Geistesblitz, die Eingebung, die geniale Idee.

Wo?

Unter der Dusche gehabt.

Aber »Wien ist anders«, heißt ein Spruch. In Wien geht man ins Kaffeehaus – so das Klischee. Die Wiener Kaffeehausliteraten wären keine Literaten gewesen, wären sie nicht ins Kaffeehaus gegangen.

Der aufmerksame Leser merkt gerade, ich schreibe »Kaffeehaus« und nicht »Café«, weil das Café vermutlich nicht so ideenwirksam ist, wie das Kaffeehaus.

Im Kaffeehaus wirkt eine konstante, ruhige Unruhe, ein Gewurle, das (so ist es notwendig) keine Hektik verbreitet. Kommt die Hektik dazu, dann ist es aus mit der Kreativität. Doch bei so einer ruhigen Unruhe, da ist man allein und doch nicht allein. 

Anders im privaten Raum oder im Büro. Entweder ist man allein oder man sitzt in kleiner Gruppe in einem Raum. Allein könnte einen einsam machen; wenn in einer kleinen Gruppe einer spricht, ist man (in der Regel) angesprochen; jedenfalls kann man davon ausgehen, dass die sprechende Person eine Reaktion erwartet (ich erwartete das immer, Zustimmung, Ablehnung, Gemurre, egal, Reaktion).

Aber im Kaffeehaus, da sind zwar viele Menschen, aber auf die muss man nicht reagieren. Die erwarten das nicht. Das Gemurmel stört nicht, weil es einem nicht betrifft. Genauso muss es sein und neurologische Untersuchungen, so berichtet uns Johannes, bestätigen diese Empirie: man ist kreativer, wenn es einen niedrigen »Sound-Teppich« gibt, neutral, ein Gemurmel, ein weißes Rauschen, als wenn es absolut still oder sehr laut ist. Dass ein lauter Presslufthammer, ein Geschrei, etc. das konzentrierte Arbeiten erschwert ist klar, dass auch diese absolute Stille Kreativität reduziert ist interessant. Es ist eine Frage der mentalen Stabilität. Vermutlich.

Johannes gibt Einblick in sein Arbeitsfeld: im Qigong gibt es eine Technik, die einem zeigt, dass man nie allein ist. Das Kaffeehaus ist dann sozusagen die westliche »Technik«, die einem das klar macht.

Mit Werner diskutiere ich in anderem Zusammenhang auch über GUIs, Graphical User Interfaces, eigentlich jene Dinge, die man heute unter UI/UX-Design zusammenfasst; also die grafischen Benutzeroberflächen von Software, von Smartphones, etc. Wir überlegen dabei, was heute die Menschen zum Staunen bringt – so wie es Giambattista Marino (1569–1625), zur Zeit Caravaggio brutal auf den Punkt brachte: »Das Ziel des Dichters ist das Wunderbare, ich spreche vom Meister, nicht vom Stümper. Wer nicht Staunen machen kann, dessen Platz ist im Stall.« — also wie würde so ein Staunen heute aussehen?

Die Weiterentwicklung der grafischen Benutzeroberfläche für den modernen Mensch könnte dann doch eine Analogie im Kaffeehaus finden? MacOS 1 oder Windows 95 als Kaffeehaus entwickelt sich zu Was-auch-immer als Starbucks? Starbucks ist das Kaffeehaus der jungen Generation, ist es nicht?

Wenn ich mich umsehen, die Realität (selbst in Wien) und die vorgespielte (die Werbung) zeigt mir, dass die Menschen (die jungen) mit ihren Laptops (vornehmlich Apples) in Starbucks (oder starbucks-ähnlichen) Cafés sitzen und dort kreativ (?) arbeiten. Jetzt ist es das andere Wort, das Café und nicht mehr das Kaffeehaus. (Hm, 🤔)

Wir formen uns damit, wo wir sitzen und uns aufhalten. Freilich formt uns das Umfeld auch. Es ist reziprok. Die Stille ist kein Vorteil, sie macht uns allein. Das ist wohl der Grund, warum Einzelhaft so erdrückend ist. Diese Isolationshaft, diese absolute Stille ist das Gegenteil von Inspiration. Eine Nichtstörung ist für Kreativität nicht notwendig, sondern eben durch dieses Gefühl der Einsamkeit behindernd. Doch ist das dann wieder nur eine Frage der inneren Einstellung, der mentalen Stärke (siehe oben). Henry David Thoreau war nicht allein, isoliert, gefangen, als er in Haft war. Zum einen, war es nur eine Nacht, aber er hätte es mit seiner mentalen Stärke auch länger ausgehalten. Auch 5 Jahre, 10 Jahre? Wohl kaum. Wir wissen, Kinder (Babys) sterben, wenn man nicht mit ihnen spricht. Der Dialog ist essentiell für unsere Spezies. Daher der Spruch: live to meet, to learn and to grow. JCI hat es als Leitspruch – glaube ich.

Der Mensch als soziales Wesen schöpft Energie in der Gruppe. Helfen, geholfen werden und zusehen, wie geholfen wird, schüttet Glückshormone aus (Oxytocin?).

Also die Sache mit dem Innovationsräumen, mit den besonderen Räumen, die man für Design-Thinking braucht, ist weit komplexer als es uns der Design-Thinking-Mainstream weißmachen will. Klar, dass Büromöbel-Erzeuger diese Verirrungen der »Design-Thinking-Experten« aufgreifen. Letztlich ist das auch eine probate Strategie, um diese «wilde«, scheinbar chaotische Denkweise in Schranken zu weisen, zu bändigen. Polemisch ausgedrückt: in diesem Raum ja, aber heraussen ist Excel angesagt, da müsst ihr wieder wie gewohnt funktionieren und Prozesse befolgen. (Drinnen vielleicht ohnehin auch, denn man lernte ja, Design-Thinking ist ein Prozess – eine Unwahrheit.)

Das werden wir wohl auch in zukünftigen Innovation-Briefings erörtern. Anmeldung jederzeit möglich.


PS: Wann immer du über eine Produkt-Innovation nachdenkst, du hast vier Möglichkeiten mit mir in Kontakt zu treten:

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