Die Texte vom Blog »Warum ist Design so wichtig?« und »Vom Nicht-Hässlichen« verlangen eine kleine Ergänzung.
Ein Techniker meldete sich kürzlich mit dem Hinweis, dass man die Brauchbarkeit nicht der Ästhetik opfern dürfe.
Soweit, so gut, da hat er recht.
Doch fuhr er fort, dass diese Brauchbarkeit sich aus den Einschränkungen der Technik ableitet, man also die Brauchbarkeit der Technik unterordnen muss. Es muss technisch umsetzbar sein, auch wenn das mitunter weniger brauchbar ist. Oha, da müssen wir natürlich zuerst mein »funktionieren« definieren.
Freilich ist das die Stossrichtung im Groben: wenn die Form weniger gefällig ist, es aber »funktioniert«, dann ist das ok. Aber ganz so einfach ist das nicht, wie es jetzt klingt.
Funktionieren meint nicht, technisch funktionieren.
Jedenfalls nicht nur.
Klar muss es technisch funktionieren, aber ich meine damit darüberhinaus, dass es für den Menschen funktioniert, d.h. dass der damit umgehen kann, es bedienen kann, es versteht, die Zusammenhänge klar sind.
Bei einem Gegenstand erkennt der Benutzer (aufgrund des richtigen »Mappings« — siehe auch Punkt 2 »Hinweis« in »Design-Thinking nur mit den Prinzipien des Donald Norman«) was damit gemacht werden kann und wie eine Funktion (ein Nutzen) ausgelöst wird, bei einem Formular weiß er, was er in welches Feld eintragen soll, eine Website wiederum bietet den Text in einer Form an, die gut lesbar ist.
Natürlich muss der Text auf der Website technisch funktionieren, also angezeigt werden, sich dynamisch verändern, wenn das Ausgabegerät ein anderes ist (statt 27-Zoll-Bildschirm ein Smartphone). Er muss, wie es heute Standard ist, adaptiv sein (oder wenigstens responsive). Aber das heisst nicht, dass der Text einfach »normal« (also irgendwie) angeboten, positioniert werden soll, Hauptsache technisch funktioniert’s.
Eine zu lange Text-Zeile mag technisch funktionieren, aber sie funktioniert für den Menschen nicht. Auch ein zu kleiner Text, zu blass, zu eng »gesetzt«, eben falsch gelayoutet, funktioniert nicht, obwohl es technisch klaglos klappt.
Eigentlich keine besondere Forderung, eigentlich nicht unbedingt klarzustellen, denn so ein Text, der nur technisch funktioniert ist meist, eben nicht nicht-hässlich. So ein Text ist häufig hässlich – grauenhaft — unerträglich.
Die Regel ist daher nach wie vor: es muss funktionieren, technisch und im Gebrauch, in der Handhabung, und dann soll es auch »schön« sein. Und »schön für viele« ist eine Form, von der niemand behaupten kann, sie sei hässlich. So eine Form ist schwer zu erreichen und ich nenne sie »nichthässlich«.
Mehr darüber findet sich in den Artikeln »Warum ist Design so wichtig?« und »Vom Nicht-Hässlichen« und voraussichtlich auch im Buch über den zweiten Satz der »6 Sätze über Design«, in dem ich die »Grenzästhetik« bespreche.
Also published on Medium.
Der "Techniker" meldet sich mit einem Zusatz zu Wort:
Konkret bezog sich diese Sicht auf Geräteschaften, auf diverse "Dinge" dieser Zeit.
Ich stimme der Stimme des Designs voll und ganz zu, das "Funktionieren" muss weitreichender Verstanden werden und auch ich sehe lieber gerne schöne Dinge ...aber das letztlich entscheidende Merkmal darf nicht ausschliesslich "nicht-hässlich" sein, denn:
Wer unter die Haube des Offensichtlichen blickt, also wer regelmäßig all die tollen bunten Dinge unserer Zeit (Computer, Smartphones, Küchengeräte, Unterhaltungselektronik aller Art, etc.) zerlegt um diese zu reparieren, erkennt, dass "Design" in den meisten Fällen nur ein am Ende der Entwicklungskette übergestülptes Konzept ist, um das eigentlich minderwertige und gar nicht so schöne Grundkonzept der angewandten Technik/Funktion und der Materialien zu verbergen und zu kaschieren.
Das mag auf den ersten Blick nicht problematisch klingen, und ist legitim, sofern es sich um Triviales handelt. Wenn aber durch ein schönes äußeres Design, einer darübergestülpten hübschen Haube, beispielsweise unsinnige Ideen komplexer Technik verdeckt werden und die Konsumenten durch die äußerliche Erscheinung getäuscht werden, indem z.B. nur der Anschein eines hochmodernen und gut durchdachten Gerätes vorgegaukelt wird, dann ist das womöglich eine Täuschung mit fatalen Auswirkungen.
Nehmen wir z.B. mal ein Notebook:
Der Kenner und Bastler weiß, dass in vielen Geräten ähnlicher Preisklasse eigentlich immer ähnliche Chips und Komponenten verbaut werden.
Leider nur sehr selten kann man in dieser Bauweise dann auch eine "Schönheit" entdecken, nämlich dann, wenn das Gerät offensichtlich auch dazu erdacht wurde, eine zweite Chance zu erhalten. Die Dinge werden irgendwann defekt, das ist sicher. Aber muss man denn diese Dinge auch gleich so gestalten, dass diese quasi nicht mehr reparierbar sind und Komponenten nicht erhältlich oder gar ersetzbar sind?
Das gilt leider nur all zu oft auch für namhafte Hersteller gängiger Haushaltsgeräte, die offensichtlich mehr Wert auf ein Science-Fiction-Erscheinen ihrer veralteten Technik legen, anstatt auf Nachhaltigkeit und wirkliche Innovation.
20% veraltete Technik aus problematisch zusammengefügten Materialen mit 80% schönem Kunststoffgehäuse ist im Falle des Defektes dann trotzdem meist 99,9% vermeidbarer Müll.
Fakt ist daher: Aufgrund fehlenden Designs in den tieferen Ebenen bzw. fehlender Zusammenarbeit von Techniker und Designer, landet viel eigentlich noch Brauchbares im Müll und in der Problemzone unseres Planeten, und in Folge in der Gesellschaft künftiger Generationen, weil wir heutzutage lieber ein schönes Äußeres bevorzugen und so gar nicht unter die Haube schauen wollen. ...und mangels Interesse größtenteils auch gar nicht mehr können.
Wo muss also nicht nicht-hübsches Design ansetzen?
An der Schriftgröße? An der Verpackung? Am Gehäuse? Am darunter liegenden Design der Technik? Oder noch tiefer: an der ursprünglichen Idee?
Ich würde sagen: "An allen Ebenen!" ...auch an den den Konsumenten verborgenen, denn erst dann unterscheidet sich auf lange Sicht Müll von wahrhaft Schönem.
Damit stelle ich die These des "nicht nicht-hübsch von Dingen, die man eigentlich gar nicht sieht (oder sehen will)" in den Raum.