Der Designprozess — Filzstift oder Computer

18/10/2020

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Im Industriedesign hat sich der Entwicklungsprozess ein wenig verselbständigt und aufgebläht. Einige Kollegen sind sich dessen schon länger bewusst und haben ihre Arbeitsweisen angepasst. Das Gros der Designstudios aber steckt in einer Kostenfalle.

Designleistung wird oftmals als zu teuer wahrgenommen. Die Kunden erkennen zunächst den Wert nicht und scheuen davor zurück aufwändig angebotene Designprojekte zu beauftragen. Die Designbranche muss sich dieses Mal der Innovationskraft anderer Branchen bedienen: Wie würde ein Designprozess aufgesetzt sein, würde Southwest Airlines es machen? Der Prozess wäre so optimiert, dass die Kosten niedrig, die Qualität hoch und der Gewinn erfreulich wären.

Denkt man etwas länger darüber nach, entdeckt man rasch das verfügbare Einsparungspotential. Es liegt in der Aufblähung verborgen.

In den Anfängen des Industriedesigns, eigentlich in den ersten 60 bis 80 Jahren, da konnte man die Arbeit des Designers in drei Teile teilen: Idee und Entwurf, Ausarbeitung, Detailierung und Definition.

Idee und Entwurf

Idee und Entwurf umfasste dabei die Recherche, die Ideenfindung (viele Ideen) und die Darstellung dieser Ideen. Präsentiert wurden diese ersten Ideen, manchmal auch schon konkreter durchdacht, auf eine Weise, die es erlaubte abzuschätzen, ob die Idee tragfähig ist und erfolgreich realisiert werden könnte: mit »Renderings«. 

Renderings, das sind »schöne« Zeichnungen. Zeichnungen, die die Idee verständlich darstellen, perspektivisch, ästhetisch anspruchsvoll. Das war für viele der künstlerische Teil der Arbeit. Nicht jeder konnte gut genug dafür zeichnen (und malen), nicht jeder hatte ausreichendes räumliches Verständnis. Die schöne Zeichnung herstellen zu können, trennte Spreu von Weizen, war Eintrittshürde in die Tätigkeit des Designers.

Dann erreichte die Digitale Revolution auch die Designwelt. CAD wurde etabliert, CAID kam auf, 3D-CAD endlich auch für Designer verfügbar. 

Abschweifung: CAD ist die Abkürzung für »Computer-Aided-Design«, also für computerunterstütztes Entwerfen. Eine findige amerikanische Firma (Alias) — der wir auch einige Animationsprogramme verdanken ohne die Jurassic Park oder die Pixar-Filme und viele Computerspiele nicht möglich gewesen wären — bot ihre Software auch Designern an, nannte sie »Designer« und definierte den Markt als CAID: Computer-Aided-Industrial-Design, also computerunterstützes Industriedesign. So kam das 3D-CAD auch in unser Studio; heute gibt es andere Programme in unserer Branche, die einfacher zu lernen und anschlußfähiger zur Industrie sind.

Pixar zeigte uns, wie virtuelle Produkte aussehen und dargestellt werden müssen (sehen Sie sich die Kratzspuren auf der Kugel des Hamsters in »Bolt« bei 0:14 an; das ist nicht einfach). Die Software-Industrie lieferte die Hilfen dafür. Die jungen Menschen lernten die neue Technik schnell und zeichnen-können wurde zum Nebenschauplatz. 

Nicht, dass es verfechtbar wäre, aber »die schöne Zeichnung« brauchte es nun nicht mehr. Durch ein paar grobe Skizzen, auch mit räumlichen Darstellungen, näherte man sich dem Lösungsansatz. Dann setzte man sich flugs an den Computer und der Rest der Arbeit passiert nicht mehr in der Werkstatt, sondern im virtuellen Raum. Die wenige Arbeit in der Modellbauwerkstatt, die übrigblieb, hat heute der wirtschaftlich akzeptable Home-3D-Drucker auch noch abgeschafft. 

Der moderne Designer arbeitet nur noch im virtuellen Raum und zeigt seine Ideen als Fotografien virtueller Objekte. 

Weil die Menschen mittlerweile hohe Qualität solcher computergenerierten Bilder gewohnt sind, liegt auch die Latte für Darstellungen aus dem Designbüro hoch (wenn auch nicht so hoch, wie sie für Hollywood gilt). Das macht die Sache, die Präsentation der ersten Ideen, nun teuer. Denn jetzt kann man die unterschiedlichen Lösungsansätze nicht bloß zeichnerisch andeuten, sondern man muss sie im 3D-Datenraum erschaffen. Man muss diese Geometrien entwickeln, erst dann kann man das »Foto« davon machen, erst dann kann man den Kunden darüber informieren. 

Diese Geometrien zu erstellen ist mitunter knifflig. Der Computer erlaubt keine Lüge – auch wenn sie nur für den Moment (durchaus offen angesprochen) zulässig ist. Die Geometrie eines virtuellen Körpers muss stimmen. Es ist sogar so, dass man einen Styroporblock einfacher seine Formvorstellung aufdrückt als einem Computermodell. Manchmal kennt man eben den passenden Befehl nicht, manch ein 3D-CAD-Programm bietet bestimmte Funktionen noch nicht an. Kurzum, der Designentwicklungsprozess wird aufwändig, weil die Berechnungen komplexer werden.

Dabei könnte es so einfach sein. Handskizzen. Gefällige Handskizzen, die es dem Auftraggeber ermöglichen die unterschiedlichen Lösungsansätze zu erkennen, zu verstehen und darüber zu entscheiden. Danach würde man eine (oder vielleicht zwei) dieser Ideen konkreter ausarbeiten – ja, gerne zeitgemäß im 3D-Datenraum. Das erfordert zwar mehr künstlerische Kompetenz (man muss gut zeichnen können), aber es wäre schneller und günstiger.

Ausarbeitung

Die aufwändige 3D-Konstruktion würde sich damit auf eine zweite Phase verlagern. Auf jene zweite Phase, die in der Zwischenzeit verloren gegangen war, die Ausarbeitung. In dieser zweiten Phase macht man den Entwurf mit dem unbetrügbaren CAD realisierbar, tüftelt an der Konstruktionsstrategie und überlegt die richtigen Maße, die Produktionsweise etc. Ist dieser Teil abgeschlossen und die Richtung (!) klar – der Auftraggeber hat sie in einer Präsentation bestätigt – dann folgt ... 

Detailierung und Definition

... die Konkretisierung (wie früher), der genaue Plan, der heute durch ein korrektes 3D-Datenmodell ersetzt ist. 

Das ist die Grundlage für die Ingenieure der Auftraggeber, die nun die Mechanik im Detail ausarbeiten. Jetzt beginnt das traditionelle »Ping-Pong« zwischen Technik und Design an dessen Ende die erfolgreiche Fertigungsüberleitung steht. Also die Überleitung des freigegebenen und bestätigten Prototyps auf die Massenfertigung. Mitunter (eigentlich häufig) sind dann noch Details anzupassen, Korrekturen an der Form für bessere Serienfertigung (günstigere) oder einfachere Montage durchzuführen. Manchmal ist ein Detail im Prototyp gefällig gelöst, hält aber einer laufenden Beanspruchung im Alltag des Konsumenten nicht stand. Das sind die Anpassungen in dieser »Fertigungsüberleitung«.

Optimieren

Würden wir also weniger den Rechner und mehr die Handzeichnung nutzen – am Anfang – könnten wir einen aufwändigen Teil (der für viele Kollegen bequemer erscheint) streichen. Wir würden den Aufwand (und damit die Kosten) für 3D-Konstruktion und Rendering in der ersten Phase sparen. Der Auftraggeber bekäme eine Menge Ideen (in Handskizzen), mitsamt Argumenten (als zusätzliche Entscheidungsgrundlage) und entscheidet damit die Richtung. Dann folgt die zweite Phase, die nun nur noch einen einzigen Ansatz im 3D-Raum bearbeitet, statt der vielen Ideen zuvor.

Wenn wir das auch noch mit modernen Methoden ergänzen, mit einem Designsprint mit den Entscheidern des Entwicklungsteams, mit agilem Vorgehen (d.h. in kleinen Iterationen) Gebrauchs-, Form- und Mechanikprobleme lösen, dann könnten wir den Entwicklungsprozess deutlich verdichten und damit günstiger und leistbarer machen. Freilich, die Zeit ist für das Honorar nicht entscheidend, sondern nur der Wert, den die Designarbeit bietet. Dennoch müssen sich Firmen das Honorar auch leisten können.

Wenn wir – in »Southwest Airlines«-Sprache ausgedrückt – unsere Down- und Turnaround-Time reduzieren, können wir beste Leistung günstiger anbieten und dennoch gutes Geschäft machen. Das ist notwendig, wenn man langfristig im Geschäft bleiben will (und GP designpartners gibt es schon seit 1992).

Klar, durch so eine Vorgangsweise reduziert sich der Glamour. Weniger »fancy Images«, dafür Fakten und Argumente. Nicht das Glanzlicht oder die besonders gelungene Darstellung von Glas soll entscheiden, sondern ob der Gegenstand funktionieren und dennoch anspruchsvoll aussehen wird, ob der Konsument (der Kunde des Designer-Kunden) den Nutzen erkennen kann, den er liefert, und ob der die notwendigen Hinweise erhält, wie er zu bedienen ist. Donald Normans Prinzipien sind dafür die Meßlatte.

Wir würden schneller und günstiger arbeiten können. Wir wären die Southwest Airlines des Designs. Bei gleichzeitig hoher Qualität.