In den Wochen der Quarantäne präsentierten die ExpertsCluster-Manager von designaustria wöchentlich ihre ExpertsCluster. Ende Mai war ich dran die Arbeit des ExpertsCluster Servicedesign, den ich seit 2012 leite, zu präsentieren. Nach der Präsentation wird diskutiert. Diese Diskussion inspirierte zu folgendem Text.
Es herrscht ein ziemlicher Linksdrall in unserer Designer-Gemeinschaft. Das muss nichts Schlimmes sein, doch anders als vor 30, 40 Jahren ist dieser aktuelle Linksdrall ein unreflektierter. Das ist so gar nicht »Design«.
Design-Thinking, unsere Denkweise, ist hinterfragend, reflektierend, kritisch, dabei gleichzeitig vernetzend und verbindend. »Design« ist die verbindende Kraft und das Schmiermittel zwischen den Abteilungen einer Organisation. »Design« ist eine Querschnittsdisziplin, wie ich in meinen Ausführungen über den ExpertsCluster Servicedesign darstellte.
Dieser unreflektierte Linksdrall, der sich offensichtlich beschleunigt, führt zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität. Denn es gibt ihn nicht – den guten Diktator – die gute Regierung, die »das Richtige« verordnet!
Wenn es einen »benevolent dictator« gäbe, dann wäre es der Designer selbst. In zahlreichen Diskussion mit dem Anthropologen Michael Leube haben wir das ausführlich herausgearbeitet. Doch der Designer als »wohlmeinender Diktator« fungiert dabei eher als Keyinterpreter (als ein Auslegender), denn als jemand der Gewalt nutzt um seine Interessen durchzusetzen.
Der Designer interpretiert, er legt aus, was wohl gewünscht sein könnte und schafft Anreize, dass »das Richtige« passiert, dass Gegenstände richtig benutzt werden, dass Formulare richtig ausgefüllt werden, dass Wege und Orte richtig gefunden werden, dass Programme und Webinterfaces richtig benutzt werden. Er ist ein »Guter«, ein Menschenfreund. Er (der designende Mensch) versteht, dass Menschen handeln, dass sie ihre Interessen verfolgen.
So ist auch der Hinweis auf Henry David Thoreaus Essay »Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat« zu lesen. Ein Essay, der nichts an Aktualität verloren hat – leider. »Ungehorsam« sein ist hier als Code gemeint, sich nicht an die Buchstaben des Gesetzes zu halten, wenn das eigene Gewissen eine Sachlage anders beurteilt. Das betrifft nicht nur einzelne, kleine Handlungen – etwa zu Fuß bei Rot die Straße überqueren, weil es Sonntag 6 Uhr morgens und kein Mensch (und Auto) weit und breit unterwegs ist –, sondern es meint auch, nicht unreflektiert gegen unbequeme Äußerungen einer anderen als der eigenen Partei aufzuschreien (indem man auf Demokratie schwört, aber dagegen ist, dass sich eine Mehrheit anders entschieden hat als man es sich wünschte, also anders »als es richtig ist« – dann lieber gleich: keine Demokratie). »Ungehorsam« steht hier für Eigenverantwortung übernehmen und diese auch fördern.
Man kann nicht dem Gewissen statt den Buchstaben des Gesetzes folgen wollen und gleichzeitig Buchstaben des Gesetzes fordern! Man kann nicht selbstbestimmt sein, wenn man meint, die Regierung solle gewisse Maßnahmen setzen, damit »wir« uns richtig verhalten. Menschen handeln und der gute Designer weiß das und respektiert das. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit der Österreichischen Schule der Nationalökonomie (wie sie zum Beispiel am Scholarium in Wien vorgetragen wird) für den Designer so wertvoll. Der gute Designer will, dass sich die Menschen freiwillig und wissend richtig entscheiden, also möglichst keine Fehler machen. Er wird also den Nutzer bestens informieren (durch entsprechende Gestaltung), Vor- und Nachteile einer Gestaltungsweise abwägen, sich einem Spannungsfeld (Nutzen, Technik, Herstellung, Preis, Gebrauch, …) aussetzen und ein Angebot formulieren. Die eine Kollegin so, der andere anders. Das ist niemals leicht und Otl Aicher fragte zurecht, »wer hält das aus?« »Der gute Designer«, könnte man antworten. Er begibt sich freiwillig in diesen »Dragon Gap«, dieses unbekannte und unbequeme Land, das Marty Neumeier auch als die Quelle für Innovation beschrieb.
Otl Aicher verstärkte durch viele seiner Artikeln und seiner darin ablesbaren Haltung Thoreaus Aufruf. Die höchste Aufgabe des Designers (ja, des Menschen) ist es sich nicht vereinnahmen zu lassen, am wenigsten vom Staat, von einer Regierung. Das vergessen einige von uns bereits seit Jahren und fordern immer mehr Zuwendungen und Unterstützung, antatt dass sie sich um sich selbst kümmern. Sie vergessen, dass die Regierung nur allzu gerne Zuwendungen an die Künstler und auch die Designer ausschüttet, denn die Regierung weiß, dass wir Designer an einer Schlüsselstelle sitzen, beeinflussen und die Welt verändern können. Dann lieber Abhängige schaffen, die der Regierung zuarbeiten, statt kritisch denkende und hinterfragende Influenzer agieren zu lassen, die das Volk gar aufwecken. Durch Aufkärung, nicht durch Bevormundung!
Ludwig Mises erkärte es uns in »Menschliches Handeln« und die aufgeklärten Kolleginnen unter uns, haben sich damit auseinandergesetzt. Auch sie folgen dem Hinweis, den Martin Tiefenthaler in seiner interessanten Typo-Berlin-Rede gegeben hat: Cui bono – wem nützt es (bei 4:00)? Denn dahinter liegt die Wahrheit, erklärt uns Karl Popper (worauf Tiefenthaler aufmerksam macht), die man aufdecken muss und die unsere Handlungen beeinflussen soll. Tiefenthaler fragt in seiner Rede, wem die Großkleinschreibung nützt, welche Interessen es gibt (sehr interessant) und ich erweitere diese Frage: wem nützt Klimawandel-Aktivimus, Corona-Pandemismus, Flüchtlingsstrom, Kapitalismus-Kritik, Demokratie (Diktatur der 51 %?), etc.
Ich weiß keine Antwort, ich will es nur neutral diskutiert wissen und dabei Konsens (keinen Kompromiss) erzielen. Das ist anstrengend, das ist langwierig, aber das ist es worauf wir uns einigen könnten: wie wollen wir gemeinsam leben? Das »gemeinsam« ist dabei entscheidend, denn nicht alle wollen so leben, wie einige von uns meinen, dass es sein müsste. Wir müssen es den Menschen also schmackhaft machen, argumentieren, Vorteile (so es sie gibt) herausarbeiten und nicht bloß »wollen«, dass etwas irgendwie ist (wie eine Kollegin verlangte). Immerhin sind wir jene, die durch unser Talent und unsere Fähigkeiten in der Lage sind, Informationen klar darzustellen. Aber das erfordert Integrität, denn wir können auch manipulieren. Ich wiederhole, es soll aufklärend, nicht bevormundend sein!
Es ist also wieder unser Gewissen, das uns Orientierung gibt. Es ist unsere Empathie, unser Einfühlungsvermögen und Verständnis für den Menschen, die uns anleiten. Der Mensch handelt, deswegen wollen wir uns intensiv mit Mises’ Lehre auseinandersetzen, denn dieser Mensch handelt immer zu seinem Vorteil. Das ist nicht verwerflich, das ist Natur.
Auch im scheinbar ungünstigsten Fall ist das so. Bei Alfred Adler, ein anderer großer Österreicher aus dem vorigen Jahrhundert, finden wir die Hinweise dafür. Diese scheinbar ungünstigste Situation, in die sich ein Mensch manövriert, bringt ihm letztlich einen Nutzen – welchen, gilt es herauszufinden. Aber wir wollen uns hier nicht direkt mit Theorie der Psychotherapie auseinandersetzen (noch nicht).
Manchmal ist der Vorteil klar und offensichtlich (und materialistisch), manchmal ist der Vorteil nicht gleich erkennbar. Wer sich mit dem Leid in Afrika beschäftigt und mit jenen, die hierher streben, der kann sich damit bestens vom eigenen Leid ablenken. Der hat gute Gründe (erhabene Gründe), um sich nicht um sich und seinen nächsten Nachbarn kümmern zu können. Ich beeile mich hier zu betonen: den Ärmsten zu helfen ist gut und löblich; aber was ist Hilfe? Auch dafür hatte Thoreau einen Spruch:
»Wenn ich sicher wüßte, dass jemand sich meinem Haus nähert mit der bewußten Absicht, mir Gutes zu tun, würde ich für mein Leben rennen«
Ich bin schon zu oft einem falschen Appell aufgesessen – Waldsterben, Ozon-Loch, Shell-Bohrinsel, … – und musste akzeptieren, dass mir viele große Zusammenhänge verborgen blieben – geopolitische Verstrickungen, perfide Interessen einzelner Gruppen – also konzentriere ich mich auf meine Welt, auf die Dinge, die um mich sind, versuche da mein Bestes zu geben, ein gutes Leben zu leben und möglichst niemanden zu belästigen. Das gelingt nicht immer, aber immer häufiger. Seine Meinung zu sagen ist in Ordnung, die anderen müssen sie nicht lesen und ihr schon gar nicht folgen.
Die Welt ist kompliziert und oft verursacht das, was zunächst richtig erscheint, anschließend genau das Gegenteil dessen was man beabsichtigte und wofür man sich einsetzen wollte. Weil die Dinge so schwer zu durchschauen sind und weil jede Intervention neue Intervention erzwingt, erscheint es mir am besten den Dingen ihren Lauf zu lassen, eine Balance anzustreben, besser, eine ausbalancierte Dynamik zu akzeptieren, denn eine Balance kann nicht eintreten. Das wäre Stilstand – also Tod.
Die Österreichische Schule ist ein für den Designer nützliches Korrektiv, sie hilft die eigene Verwirrung durch den mächtigen Linksdrall zu stoppen und sich wiederzufinden.
Menschenorientiert: JA! — Zwangsverhalten: NEIN!!!
Abschweifung: Als Mises bei einem Abendessen gefragt wurde, was er als erstes tun würde, wäre er Diktator, antwortete er, er würde sofort zurücktreten. Der Mensch soll zu nichts gezwungen werden.
Nur der Mensch selbst weiß, was ihm gut tut, niemand anders. Er kann sich irren, das stimmt. Genau das ist der Punkt: Weil sich Menschen irren können, ist es so gefährlich, wenn ein einzelner oder eine kleine Gruppe für viele entscheiden darf – oder sich selbst dazu ermächtigt. Nur der einzelne Mensch selbst kann entscheiden, was ihm gut tut; er muss für sein Wohlergehen Verantwortung übernehmen – Selbstverantwortung – und er muss sich seiner Macht wieder bewußt werden.
Jetzt hilft sie uns wieder, die Frage »Cui bono«, wem nützt es, wenn wir (Konsumenten) uns unserer Macht nicht bewußt sind, wenn wir glauben, nur die Regierung kann uns schützen? Dabei können wir mit unserem »Abstimm-Euro« selbst entscheiden, was wir wollen, was man uns anbieten soll und der Unternehmer wird es uns liefern. Wünschen wir die billige Ware, dann bekommen wir sie, wollen wir Qualität, dann wird auch das geliefert. Plastiksackerl? Wir entscheiden.
Dazu müssen wir uns wieder mit Qualität auseinandersetzen, müssen wieder lernen, was Qualität ist, wie ein guter Schuh aussieht, Erdbeeren wirklich schmecken, ein Kellner richtig bedient. Der gute Designer verordnet nicht, zwingt nicht, er klärt auf und macht ein Angebot; er unterstützt dabei den Unternehmer. Und er handelt nach seinem Gewissen, nach bestem Wissen und Gewissen.
Einige von uns meinen, dass die Österreichische Schule »eine alte Lehre« sei, über hundert Jahre. Das ist irrelevant! Sie ist höchst aktuell und man kann sie, sofern man aufmerksam das Verhalten der Menschen beobachtet, täglich empirisch bestätigen. Nach dem Grenznutzen handelt jeder (JEDER!); jene die »ernste Geschäfte« machen und die Kinder im Kindergarten, selbst die Poltiker, wenn es um Wahlstimmen geht. Es ist ein Axiom.
Wir Designer müssen uns nicht nur, sondern auch dieser Sichtweise öffnen, wieder kritische Gestalter werden und aufhören Staatskünstler zu sein (präziser: Regierungskünstler). Es gilt wieder unabhängig zu werden.
Passend zum Diskurs ein interessanter Artikel für unsere Design-Kollegen, die vielleicht nur die eine Seite (jene des Falters) kennen, hier eine Korrektur aus der Presse. Es ist aus 2015. Seit damals haben wir wieder nichts gelernt und die aktuelle Pandemie hat die Blase nur noch größer gemacht. Der gute Designer beschäftigt sich auch damit und folgt seiner Berufung zur klaren Darstellung von Information.
Zum Abschluß noch einmal Ludwig von Mises, 1922 (aus dem Presse-Artikel):
Only the individual thinks. Only the individual reasons. Only the individual acts.
Also published on Medium.
[…] Der Designer kann sich somit nicht (nur) auf das Urteil der Anwender stützen. Er muss Position beziehen und selbstlos das Bessere bestimmen. Er agiert in diesem Sinne als »benevolent Dictator« (das muss ein eigener Beitrag werden, sehr kontroversiell und weit hinausgelehnt; dazu ein Artikel im Satz-3 und ein Blogbeitrag). […]