2010 passierte etwas erstaunliches: Alexander Osterwalder stellt mit »Business Model Generation« sein Modell zur Geschäftsmodell-Darstellung vor – das Business-Model-Canvas – und plötzlich fühlen sich alle Experten, die Arbeitsunterlagen erstellen, genötigt diese Unterlagen als »Canvas« zu bezeichnen. Seit diesem Zeitpunkt – so scheint es mir – häuften sich die »Canvases« in außerordentlichem Ausmaß. Für alles mögliche gibt es nun ein Canvas.
Das zweite Phänomen, das mit dem Erscheinungstermin von Osterwalders Buch korreliert, ist, dass diese Experten die Theorie zu diesen Unterlagen in unhandlichen Querformat-Büchern, die aufgeklappt die Breite eines A2 (= 2 x A4-Höhe) erreichen, vorstellen.
Peter Kornfeind, der Stärken-Experte, folgt diesem Beispiel nur zum Teil. Meine Arbeiten über das Business-Model-Canvas (vornehmlich die »9 Schritte zum besseren Business Model«) haben ihn auf die Idee gebracht über ein Stärken-Canvas nachzudenken. Grundlage dafür ist seine Praxis, deren Theorie er in einem »normalen« Buch vorgelegt hat. Aber der Mode der Canvases unterliegt man leicht. So ein Canvas ist auch sehr praktisch. Ich habe versprochen, meine Gedanken dazu etwas zu vertiefen. Wie könnte also so ein Canvas aussehen, mit dem ich mir Gedanken über meine Stärken mache, mit dem ich meine Stärken entdecken oder managen kann?
Wer sich länger mit den Canvases beschäftigt, stellt rasch fest: ein Canvas* ist keine Tabelle.
* Übrigens, der Duden weist darauf hin, dass es »das Canvas« heißt, nicht die; der wollen wir in Zeiten wie diesen ohnehin besser nicht sagen).
Sonst wäre es ja eine Tabelle.
Canvas ist die englische Bezeichnung für Leinwand (das ist uns klar, aber machen wir uns das zunächst richtig bewusst – ich komme später noch darauf). Leinwand hat man nicht verwendet, denn das klingt in Deutsch nicht so cool, wie Canvas, und auch in der Berater-Szene soll es etwas aufregender klingen.
Der Vorteil eines Canvases (einer Leinwand) ist, dass es genau keine Tabelle ist. Ein Canvas, wie z.B. das Business-Model-Canvas, ist eine Art Spielfeld, ein Arbeitsfeld.
Dieses »Spielfeld« stellt mir einen Rahmen zur Verfügung, mit dessen Hilfe ich meine Gedanken zu einem Thema strukturieren kann. Es vereinfacht mir diese Strukturierungsarbeit, denn es leitet mich an und dient dabei auch ein wenig als Checkliste – als besondere Checkliste.
Indem ich diese Felder sehe, kann ich wesentliche Aspekte zum Thema nicht vergessen. Aber im Unterschied zur Checkliste im klassischen Sinn, also mit einer konkreten Reihenfolge und mit Zwang alles abzuhaken, kann ich bei einem Canvas manche Aspekte einfach auslassen, sie (zumindest für den Moment) unbeantwortet lassen, wenn sie für meine akuten Zwecke nicht (oder noch nicht) relevant sind.
Das ist ja einer der typischen Fehler bei der Nutzung des Business-Model-Canvas, dass manche Anwender erstens meinen, sie müssten immer alle Felder vollständig ausfüllen und zweitens, dass sie glauben, es gäbe nur eine Form des richtigen Ausfüllens. Dabei füllt man nur jene Felder aus, die für eine bestimmte Fragestellung relevant sind und das auf eine Weise, die einem, aus der Fragestellung zu generierenden Erkenntnisgewinn dient.
Es ist ganz sicher auch keine Tabelle, in der ich über X- und Y-Achse zu einer Aussage komme. Ein Canvas ist eher mit einem Mindmap verwandt, doch mit dem Unterschied, dass es nicht ganz so frei und unbestimmt ist, wie eben ein Mindmap.
Beim Mindmap weiderum habe ich maximale Freiheit, es ist potentiell unendlich, ich kann alles notieren, kann alles mit jedem in Beziehung setzen und bin ... manchmal ob dieser unendlichen Möglichkeiten verloren, blockiert. Das Canvas ist ein definierter Rahmen, ist in seinem Format fixiert und (im Sinne der hier besprochenen Arbeitsunterlage) gibt mit seinen Feldern Anregungen, wie man das Thema (wofür das Canvas entwickelt wurde) angehen könnte.
Wollen wir ein Arbeitsinstrument entwickeln, wollen wir unsere Gedanken und Modelle anderen zugängig machen, dann müssen wir überlegen, ob das besser in Tabellenform oder als Canvas gelingen mag.
Die Tabellenform ist wohl eher als Nachschlagewerk zu nutzen und wende ich dann an, wenn ich sicher bin, dass bei einem Faktum ein oder mehrere andere zutreffen, anzuwenden, zu kalkulieren sind. Ich weiß wie die Dinge zusammenhängen und gebe wenig Spielraum, eine Tabelle ist straff.
Das Canvas gibt mehr Freiheiten, zeigt nur potentielle Beziehungen auf und lässt mich in den einzelnen Felder über das Thema philosophieren. Daraus ergibt sich in der Diskussion der Erkenntnisgewinn. Anders als bei der Tabelle ändert sich dieser je nach Diskussionsverlauf, nämlich nicht nur was den Wert des Feldes betrifft (der ändert sich mitunter auch in der Tabelle), sondern was die Struktur, die Tiefe, die Zusammenhänge betrifft. Es ist deutlich freier. Daraus ergibt sich mitunter, dass die Erkenntnis nachfolgend in Tabellenform gebracht werden müssen, damit sie umgesetzt und abgearbeitet werden können. Keineswegs soll das Canvas verleiten, vage und im ewigen Diskurs stecken zu bleiben.
Ein Canvas präsentiert sich immer leer und will so präsentiert werden. Zuerst hat man dieses leere Spielfeld vor sich und entwickelt darauf seine Gedanken, seine Ideen; dann räumt man es ab und präsentiert es auf gleiche Weise (von leer zu gefüllt) seinen Gesprächspartnern. In dieser Präsentationsrunde spart man freilich die Irrwege der eigenen Gedankenarbeit aus und führt den Zuhörer direkt zum Ergebnis.
Indem ich mit dem leeren Canvas beginne, gelingt mir maximale Anschlußfähigkeit, denn das leere Canvas stellt im Regelfall die Vorstellung des Gegenübers zu dieser Thematik, die ich entwickelt habe, dar. Der Andere weiß ja zunächst gar nicht, was ich alles gedacht habe, ist also leer in Bezug auf meine Überlegungen. Wenn ich nun ein Feld nach dem anderen mit den entsprechenden Informationen befülle, kann der andere diesen kleinen Happen folgen und sein eigenes Modell in moderaten Schritten meinen Überlegungen annähern. Am Ende sieht man das (mehr oder weniger) vollständig ausgefüllte Canvas und erkennt die Zusammenhänge. Jetzt kann eine strukturierte und zielorientierte Debatte beginnen, die beiden Gesprächspartner sind – das präsentierte Modell betreffend – auf gleichem Wissensstand und können es nun mit ihrem (natürlich unterschiedlichen) anderem Wissen anreichern. In dieser Debatte wird es weiter modifiziert und ausgebaut.
Keineswegs bedeutet diese Vorgangsweise, dass der Zuhörer dem Präsentator zustimmen muss, sondern wird damit bloß sichergestellt, dass beide vom Gleichen reden. Der unterschiedliche Wissensstand kann genutzt werden, damit sich beide (oder eben die Gruppe) weiterentwickeln. Das im Canvas dargestellte Modell wird besser.
Diese Vorgangsweise vom leeren zum gefüllten Canvas vorzustellen hilft auch einem selbst die »Story« zu überprüfen. Brüche in dieser »Geschichte« werden durch diese Vorgangsweise sichtbar und damit korrigierbar. Es macht also durchaus Sinn – auch wenn alle mit dieser Sache befassten Personen an der Gestehung des Canvas beteiligt waren – immer wieder vom leeren zum gefüllten Canvas zu denken, es neu zu entwickeln. Damit werden später gemachte Ergänzungen in die Originalgeschichte eingebaut. Wenn das nicht harmonisch gelingt, ist der Bruch, ein potentieller Denkfehler, aufgedeckt. Genauso soll es sein. Das Canvas in diesem Kontext ist eben kein fertiges Kunstwerk, sondern ein Entwicklungsinstrument.
Wer ist denn nun »der Künstler«, der das Canvas befüllt, der Berater oder der Beratene? Wer könnte es sein?
Der Berater ist jener, der genau über das Thema Bescheid weiß – im Falle der Stärken-Analyse wäre das wohl Peter Kornfeind. Aber es ist auch der Beratene, denn der beeinflusst durch sein Verhalten diese Inhalte genauso. Er steht sozusagen Modell und der Berater hat die Aufgabe durch genaues Beobachten »das Modell auf der Leinwand darzustellen«.
Doch bevor diese konkrete Ausgestaltung des Canvas durchgeführt werden kann, braucht es das oben angesprochene Spielfeld: die Felder, die mich anleiten.
Beim Stärken-Canvas soll im Zentrum wohl das Zentrale notiert werden: die drei wesentlichen Stärksten. Die wesentlichsten Stärken sind nach Peter Kornfeind die drei stärksten Stärken. Schließlich geht es primär darum Stärken zu stärken, denn das stärkt.
In unserem Kulturkreis notieren wir die Zukunft rechts, die Vergangenheit links. Also könnten wir das, was ist, links notieren und das, was ich machen kann, rechts vom Zentrum.
Man notiert somit in der linken Hälfte die Auswirkungen oder Gewinne aus der Geschichte, dem Privatleben, dem Beruf und auf der rechten Hälfte die potentielle persönliche Weiterentwicklung. Wir sammeln darin nicht nur die positiven Effekte (bestehend und zukünftig), sondern konfrontieren uns auch mit den (vorerst) als negativ empfundenen Effekten der jeweiligen Stärke. Denn nach Kornfeind (und allgemein) ist ja jeder Aspekt auch positiv zu interpretieren. Der passt oder wirkt nicht in allen Bereichen positiv. In der Arbeit mit dem Canvas erkennen wir den Veränderungsbedarf und eben das Entwicklungspotential.
Am Canvas sollen das nur knappe, fast vage Aussage nsein, die dann durch ein Dokument angereichert und vervollständigt, also in einen Kontext gebracht wird. Diese Vervollständigung passiert entweder vom »Künstler« (der Berater liefert die Interpretation mit seinem Fachwissen) oder der Betrachter (der Beratene) legt es für sich im Alltag aus. Die Notizen am Canvas (vornehmlich Post-it, damit sie beweglich und veränderbar sind) haben nur wenig Text, eher sogar nur Bilder. Die Interpretation ist ein schriftlicher Kommentar, genau wie beim Business-Model-Canvas.
Wie das nun genau aussieht, das bleibt noch ein Geheimnis. Willst du mehr über das Stärken-Canvas wissen, dann deponiere dein Interesse mit einer Nachricht an mich oder einem Kommentar hier zum Artikel.
Und denke daran, wann immer du über eine Produkt-Innovation nachdenkst (z.B. dein eigenes Canvas entwickeln), du hast vier Möglichkeiten mit mir in Kontakt zu treten:
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