Heute realisiere ich Marc Stickdorns Denkfehler bei der Erfindung seines unglücklichen Namens für unsere »Disziplin«. Im Buch wird es erkennbar:
Er meint offenbar, dass Design-Thinking eine bestimmte Art zu denken ist, nämlich ein Denken für Design. Nachdem es – aus seiner Sicht, völlig bescheuert! – hier nicht um Design, sondern um Servicedesign geht, braucht es eine andere Art zu denken, nämlich Servicedesign-Thinking. Die verkorkste Schreibweise (Englisch statt Deutsch) verschleiert das zunächst.
Es ist ein gravierender Denkfehler anzunehmen, dass Design-Thinking für ein »Design« ist und nicht für jedes Design – jede Art des Designens, für designen.
Es ist ein zweiter Denkfehler anzunehmen, dass nur Servicedesign multidisziplinär ist. Das werte ich als Hinweis seiner Unkenntnis über Design im Allgemeinen und dem Hype-Begriff Design-Thinking im Besonderen. IDEO hat immer auf multidisziplinäre Zusammenarbeit als wesentliches Element des Design-Thinking hingewiesen.
Würde man seinen Überlegungen folgen, dann gäbe es kein Design-Thinking, sondern nur ein Grafikdesign-Thinking, ein Produktdesign-Thinking und somit auch ein Servicedesign-Thinking.
Design-Thinking ist der Hinweis, dass Designer (und verwandte Berufe) anders denken als z.B. Manager (und verwandte Berufe) und daher anders vorgehen. Es meint damit keine spezielle Denkweise, sondern konkret eine andere Herangehensweise, die daraus entsteht, dass eben Designer (und verwandte) anders über eine Sache (Produkte, Probleme, Lösungen, Services) denken. Ich (der Designer) denke anders, lateral, lösungsorientiert, benutzerinteressiert, etc. und daher mache ich etwas anderes als die mehr kausal denkenden Wissensarbeiter. Weil ich früh ausprobiere, herausfinden will, wie die Menschen mit meiner Idee zurechtkommen, konfrontiere ich sie frühzeitig mit diesen Ideen. Nicht indem ich ihnen meine Ideen sage und ankündige, sondern indem ich sie meine Ideen erleben und ausprobieren lasse. Das Gesprochene (Gedachte) verlangt Vorstellungsvermögen, das die meisten Menschen (Non-Design-Thinking) nicht in dieser Intensität/Qualität haben oder wenn sie dazu in der Lage sind (z.B. meine Kollegen), es sie auch an Anderes, nicht Gemeintes denken lässt. Also baue, zeichne, inszeniere ich meine Lösung auf einfache Weise, schnell und unproblematisch, fragmentarisch, und konfrontiere die Nutzer, für die ich die Verbesserung, die Lösung entwickle, damit und lerne daraus, was gut gelungen ist, was besser gemacht werden könnte, welche Fragen noch unbeantwortet und welche neu entstanden sind und ich entdecke dabei mitunter auch neue Ideen.
Ob das Problem, der Lösungsraum, die Idee dem Grafik-, Informations-, Produkt- (gemeint sind hier Gegenstände) oder Servicedesign zuzuordnen ist, ist irrelevant. Das ist ja das besondere am Design-Thinking: Ich nutze diese Herangehensweise aus dem Industrial Design auch für die Lösung eines Grafik-Problems, für die Gestaltung einer Dienstleistung und sogar um Menschen im »Design ihres Lebens« zu unterstützen.
Man wird richtig ärgerlich, wenn man so ein Missverständnis, so einen Schwachsinn liest. Dennoch verlangt dieses Buch einem ab Respekt zu zollen, weil es trotz seiner Ungenauigkeiten und enormen Lücken so ein Weltbestseller wurde. Es ist ein Use-Case, der es wert wäre studiert und anschließend, mit richtigen Inhalten, wiederholt zu werden.
Das Ärgerliche ist, dass damit – mit diesem falschen Titel, dem falschen Verständnis der Begriffe und dem enormen Erfolg – eine riesige Leserschaft getäuscht und verirrt wurde. Seit damals ist es immer wieder notwendig Debatten zu führen, zu erklären worin der Fehler besteht, dass Design-Thinking eine universelle Herangehensweise ist, genauso wie Hausverstand oder Managerdenken oder Wissenschafter-Denken (die wissenschaftliche Vorgehensweise) und keinesfalls auf eine einzige Disziplin (noch dazu eine, die er als Design im Unterschied zu Servicedesign bezeichnet) beschränkt ist.
Was soll das überhaupt sein: Im abgebildeten Abschnitt nennt er Design als eine Disziplin und Servicedesign als eine andere. Denkt er vielleicht, dass nur Designer Design-Thinking anwenden und daher Service-Entwickler eine andere Denkweise haben müssen?
Er meint, das besondere ist, dass Services aus unterschiedlichen Blickwinkel entwickelt werden können und täuscht sich, wenn er glaubt, das sei nur bei Dienstleistungen der Fall. Tatsächlich kann jede Disziplin, die man als Designer bearbeitet (also alles) aus unterschiedlichen Perspektiven bearbeitet werden. Lebensthemen, Selbstorganisation kann der Lebensberater, der Personal Trainer und ... genau ... auch ein Designer beraten oder gar gestalten. Der Techniker entwickelt anders als der Designer. Eine Kampagne wird anders konzipiert, ob es ein Marketing-Experte, ein Unternehmensberater oder ein Designer macht. Ein Einstellungsgespräch ist vom HR-Experten anders aufgesetzt als vom Psychologen oder vom Designer.
Alles ist aus unterschiedlichen Blickwinkeln gestaltbar, mit unterschiedlichen Zielen, unterschiedlichen Prioritäten. Nutzt man jenen des Design-Thinking, dann nutzt man die »3 Kerneigenschaften für Design-Thinking« und entwickelt mit Einfühlungsvermögen. Man testet häufig und frühzeitig, wenn man nicht sicher ist, ob der Lösungsansatz verstanden wird und deutet die Ergebnisse mit Interpretationskompetenz. Am Ende entscheidet man, durchaus bevormundend, aber als Angebot* (!), für und im Sinne des Nutzers mit eine gehörigen Portion Entscheidungsmut.
* (»Als Angebot« bedeutet, der Nutzer kann auch ablehnen. Selbst dann, wenn es aus Designers Sicht zwingend sinnvoll scheint.)
Das Thema ist dabei nicht einschränkend oder ausschließend. Ich kann mit dieser Herangehensweise jedes Thema bearbeiten, manche besser, manche weniger, alle in Kooperation.
Man sagt mir, entwirf mir ein Logo, eine neue Dusche, ein Messgerät, einen Park, ein Präsentationshilfsmittel für ein komplexes Produktportfolio, eine Konferenz-Registrierung, besser Selbstorganisation, eine Preisstruktur, ein Geschäftsmodell, etc. Ich nutze meine Herangehensweise, habe Idee, kopiere, vernetze, synthetisiere und mache ein Angebot, ich diskutiere, inspiriere und motiviere, wir kneten die Ideen, testen sie unter Beinah-Realbedingungen und erarbeiten die für den Moment beste Lösung mit dem geringstem Aufwand. Das ist die Herangehensweise der Designer, das ist Design-Thinking und daher auch Servicedesign-Thinking. Es ist DESIGN.
PS: Wann immer du über eine Produkt-Innovation nachdenkst, du hast vier Möglichkeiten mit mir in Kontakt zu treten:
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