Der Mensch leidet an Neophilia, erklärte mir einst der Anthropologe, daher ist für Designer immer Saison.
Nicht in allen Themen, nicht für alle Kollegen, aber für die meisten. Manche erlebten ein jähes Aufwachen als im ersten Lockdown die Projekte gestoppt wurden (ich berichtete). Jene, die dem Überfluss frönen. Der Designer war trotzdem gefragt, weil es Lösungen braucht. Der Designer ist jener, der die Dinge (im Regelfall) von außen sieht und daher Innovation auslöst.
»Innovation! Ist das denn nicht schon ein arg überholter Begriff?«, fragte kürzlich ein Freund.
Nein, es scheint ein Dauerbrenner zu sein. Das Interesse ist groß, die Aufmerksamkeit steigt, wenn man ansetzt darüber zu sprechen.
ich erinnere mich an eine Deutsch-Schularbeit in den frühen 1980ern mit der Aufgabe Stellung zum »Modewort Innovation« zu nehmen. Schade, dieser Aufsatz ist nicht mehr verfügbar, ich habe ihn nicht aufgehoben, das Schularbeitsheft ist wohl schon aktenvernichtet.
Für mich ist das ein Hinweis, dass Innovation noch immer das Thema ist. Wenn wir nach mehr als 40 Jahren noch immer leuchtenden Augen bei diesem Wort bekommen, dann hat es für uns Menschen Bedeutung. Wir leiden eben an Neophilia (siehe oben).
Heute, in den 2000ern wurde Innovation aber noch um eine Dimension erweitert. Sie muss disruptiv sein. Sie muss die eigene Branche erschüttern und umkrempeln und uns, den die Erschütterung auslösenden Unternehmer, einen fast uneinholbaren Wettbewerbsvorsprung verleihen.
Das ist eine interessante Herausforderung.
Warum? Weil es um diese Warum-Frage geht und weil es dafür »Halbwissen« braucht.
Analysieren wir, wer in den letzten Jahrzehnten bahnbrechend Branchen auf den Kopf gestellt hat oder zumindest den Platzhirschen dieser Branchen Kopfzerbrechen bereitet hat, dann stellen wir fest: das waren immer Newcomer. Menschen, die eigentlich keine Ahnung von dem hatten, was sie machen wollten. Die also mit einer gewissen, sagen wir »konstruktiven Naivität« an die Sache herangingen.
Da ist eine Computerfirma, die die Musikwelt durcheinanderwirbelt; da sind junge BWLer, die der Bankenwelt mit einer neuen App zu schaffen machen, da ist ein Millionär, der meint man könne einfach so Raketen und Autos bauen, ein Schallplatten-Verkäufer, der zwischendurch eine Fluglinie aufbaute will jetzt Weltraumreisen anbieten, ein Buchhändler auch, ...
Es scheint als käme die Innovation, insbesondere die disruptive Innovation, immer von branchenfremden. Von Menschen, die sich (zunächst) mit den Details einer Branche nicht auskennen, sie nicht kennen können, weil sie noch keine Erfahrung haben. Die reden mit Wissenden, mit Branchenkennern und in den meisten Fällen winken die ab. Eine Einzelner könne heute keine Autofabrik gründen und aufbauen; witzlos, so ein Vorhaben – ja, fast fahrlässig. Und doch ist es gelungen. Diese Menschen glauben an ihre Ideen und suchen nach Möglichkeiten. Weil sie wenig vom Fach wissen, müssen sie sich alles ansehen, neu lernen, sie entdecken Abzweigungen (fast könnte man es als Abkürzungen bezeichnen) und vor allem vernetzen sie das Neugelernte mit dem ihnen Bekannten aus anderen Feldern.
Die Menschen, die so agieren und berühmt (also bekannt) sind, können wir wohl an zwei Händen abzählen. Das sind Ausnahme-Erscheinungen, die linken 2 Prozent in der Gaußschen Glockenkurve. Was macht der Rest?
Der Rest holt sich solche »Naivlinge«, die das professionell anbieten: Designer.
Designer pflegen eine gewissen Naivität, ich nenne es »die kultivierte Naivität des Designers«. Es ist eine besondere Naivität, den sie kann eingeschaltet werden, wenn es gebraucht wird, und ausgeschalten, wenn es darum geht, Nägel mit Köpfen zu machen, wenn etwas auch realisiert werden soll. Eine Innovation ist ja eine »Fleisch gewordene Idee«.
Jeder hat Ideen. Zu allen möglichen Themen. Viele Menschen haben dieselben Ideen. Sie sind auch Ausdruck des Zeitgeistes, der Gegenwart.
Sprituell könnte man sagen, eine Idee muss vielen Köpfen einfallen, in viele Köpfe hineinfallen, damit sie Chance hat zur Welt zu kommen. Die meisten Menschen haben nämlich nicht die Kraft sie zu realisieren. Entweder erkennen sie sie nicht, die Idee, oder sie scheuen die enorme Anstrengung die damit verbunden ist, sie zu realisieren.
Designer sind darauf trainiert Ideen zu erkennen und auch darauf, sie zu realisieren. Das können sie natürlich nicht allein. Dazu bedarf es eines kongenialen Parnters, dem Entrepreneur, dem Unternehmer; also jemanden der etwas unternimmt, der die Dinge in die Hand nimmt.
Die kultivierte Naivität des Designers ist ein Booster für Innovation
Warum ist das so?
Weil die Designer (eine neue Form des Genderns, mein Vorschlag), insbesondere die Industriedesigner – also jene, die Gegenstände, Systeme, Prozesse und Erlebnisse (Dienstleistungen) gestaltet, mit einer Herangehensweise, die als Design-Thinking bekannt wurde –, neugierig und wissbegierig ist. Sie ist darauf trainiert die Dinge auch anders zu sehen. Sie liebt Sprüche wie: »Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.« Sie wird von einer Idee, von einer Inspiration zur nächsten gerissen. (siehe auch »Die Wahrheit über Design-Thinking«). Sie ist geeignet für Innovation, wegen ihrem Technikinteresse, ihrer Fähigkeit Prozesse zu abstrahieren, zu analysieren und neu zu synthetisieren; die Neugier, gepaart mit der Unwissenheit der Details, ergänzt durch das breite (aber oberflächliche) Wissen aus vielen anderen Gebieten, ermöglicht die Vernetzung unterschiedlicher Gedanken.
Industrial Designer interessieren sich für Vieles und wissen von allem zu wenig. Sie schrecken nicht vor neuen Ansätzen zurück, weil sie nicht wissen, warum etwas nicht funktionieren könnte. Ihre kultivierte Naivität ist essentiell, denn sie lässt sie glauben, dass ein ideal erscheinender Lösungsansatz auch umsetzbar ist und der wird daher auch ausprobiert; experimentell getestet.
Hat eine Designer diese kultivierte Naivität verloren – ist sie also »vernünftig« und ernsthaft, sind ihr die Einschränkungen bewusst –, dann ist ihr Zenit überschritten. Innovation ist nicht mehr zu erwarten. Maximal saubere Exekution einer geprüften und umsetzbar vorbereiteten Idee. Das gibt es auch in der Kollegenschaft. Sie haben ein Fachgebiet tief erforscht und haben dabei (aber das muss ja nicht sein) ihre Fähigkeit verloren, für einen Moment die Naturwissenschaft vergessen und im Märchen leben zu können. Wir müssen die Unmöglichkeit temporär zulassen und als Trittbrett benutzen, um zur realisierbaren Lösung zu gelangen.
Mit dem Wissen aus den vielen anderen Gebieten, mit der Vernetzung unterschiedlicher Gedanken, erzeugt die Designer in ihrem Umfeld (also bei der Auftraggeber) die notwendige »Hummus-Schicht« in den Köpfen auf der Innovationen keimen können – auch bei den Nicht-Designern.
Die Nicht-Designer haben dann, nachdem diese Innovationskeime aufgegangen sind, das notwendige Fachwissen, um diese Ideen und neuen Ansätze zum Leben zu erwecken. So entsteht die Innovation.
Dafür haben sich die – ich muss es schon wieder erwähnen, weil es so ist – die Leuchtturm-Workshops bewährt. Es sind speziell mit der Denkweise der Industrial Designer, also Design-Thinking, komponierte Abläufe verschiedener Methoden, die einen fruchtbaren Boden für Innovation schaffen lassen.
Die Innovation, die Idee zur Innovation und der mögliche Lösungsansatz, kommt meist vom Themenfremden. Die Verbesserung und Optimierung vom Themenvertrauten.
Wann immer Du bereit bist, ... hier sind vier Möglichkeiten wie ich dich unterstützen kann:
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