8:30 — Linz, Sankt Pölten, Salzburg, Wien, Zossen (Brandburg). Wir hatten uns dieses Mal eine schwierige Frage gestellt, quasi eine Fortsetzung aus Innovation-Briefing Nr. 23: Wie gehen junge Entrepreneure mit unerwarteten Risken um? Eine Frage die am Ende des vorletzten Briefings durch die Aussage aufgeworfen wurde, wonach alteingesessene Unternehmen bedächtig vorgehen müssen, während junge Startups »All-in« gehen könnten. Präziser, junge Manager könnten all-in gehen, denn sie hätten nichts zu verlieren.
Vorab kann ich schreiben, in der Diskussion ergab sich wohl keine befriedigende Antwort. Allerdings könnte diese Reflexion unserer Debatte so eine Antwort beim Leser entstehen lassen.
Die Schwierigkeit in der Debatte begann schon damit, dass kein Vertreter eines Startups unter uns war, ja, nicht einmal junge, »ich-mache-mich-gerade-selbstständig«-Menschen waren da. Alle von uns sind erfahrene junge und ältere Unternehmer. Jeder von uns hat ausreichend unternehmerische Erfahrungen und würde heute wohl nicht (wie ich es selbst einst tat) einfach so ein neues Unternehmen starten, einen Computer kaufen und sehen, wo das hinführt.
Das wäre ja schon ein Beweis dafür, dass man als junger Mensch einfach starten und also alles riskieren würde. Doch schnell erkennen wir, das hängt vom Gewerk ab.
Damals (1987) war ein Design-Büro schnell gegründet, insbesondere weil wir mit Grafikdesign starteten. Ein Luftpinsel, eine Schneidematte, Stifte und Papier genügten, später kam ein Kopierer dazu, noch später der berüchtigte »Grafik-Computer«, ein Macintosh II mit sagenhaften 1 MB RAM und 40 MB Festplatte. Der Computer war das riskanteste, weil unvorstellbar teuer, Investment, aber es hat funktioniert.
Heute würde man analog dazu schnell ein App-Designer werden können. Ein Laptop und ein Sofa daheim, ein Internet-Zugang, etwas Cloud-Speicher und los geht’s. Freilich Fachwissen über UI/UX und Programmierung vorausgesetzt – ist lernbar.
Anders war und ist das mit einem »richtigen« Unternehmen, Tischler, Bäcker, Installateur, Gastwirt. Das erfordert dann doch etwas mehr Planung, mehr Vorausschau, mehr Parameter, die erfüllt werden müssen, allein schon wegen der Gewerbeberechtigung. Auch der Investitionsbedarf um überhaupt etwas anbieten zu können ist um ein zigfaches höher.
Dann stellte sich noch heraus, dass wir unterschiedliche Auffassungen von »Startup« haben. Für die einen ist es – wie es sich aus der Ableitung erklärt »to start up« – eine Unternehmensgründung, für andere die Gründung eines Unternehmens »mit einer Geschäftsidee und hohem Wachstumspotenzial, in jungen oder noch nicht existierenden Märkten, die erst ein funktionierendes Geschäftsmodell finden müssen.« Beides, aber insbesondere letzteres, sind auch Interessen erfahrener Unternehmer. Diese erfahrenen Unternehmer würde dann (wir wollen annehmen, sie sind bereits erfolgreich) die unternehmerische Methode anwenden: Effectuation. Wir können schon ahnen, wie diese Unternehmen mit unerwarteten Risiken umgehen: sie prüfen ihren leistbaren Verlust.
Übersteigt der zu erwartende Verlust – z.B. weil gerade eine Pandemie ausgebrochen ist – den leistbaren Verlust, dann werden solche Unternehmer von Startups ihr Vorhaben stoppen.
Susanne hat das sofort auf den Punkt gebracht: sie unterscheidet zwischen jungen und älteren Startups (die Unternehmer) und zwischen solchen die es nebenbei starten (also neudeutsch, als Side-Project) und solchen die vollständig vom Erfolg ihres neuen Unternehmens abhängig sind. Die Side-Project-Leute sind (aus ihrer Sicht) häufig junge Menschen, die das neben ihrer Anstellung (der Einkommenssicherung) machen und sich entsprechend Zeit lassen können, die Entscheidung langsam und mit Bedacht treffen – also krass anders als Peter letztes Mal meinte. Jene, die ihren Lebensunterhalt auf Dauer nicht gesichert haben, wenn die Unternehmensidee nicht aufgeht, die arbeiten hingegen schnell, entscheiden zügig, haben entsprechend Stress.
Marlene bekräftigt, ist es ein Side-Project, dann riskiere ich [Anmkg: den leistbaren Verlust], denn es kann nichts schief gehen [ich bin nicht arbeitslos, wenn es nicht gelingt].
Und Stephan vom ÖGV illustriert das glänzend mit zwei Beispielen aus seinem Umfeld. Einmal der 15-jährige Unternehmensgründer von vor ein paar Jahren, der tüchtig gearbeitet hat und dann auch Investoren fand; der hat das gut hingekriegt (doch der hatte am Start noch den elterlichen Rahmen für seine Grundbedürfnisse). Der andere Fall ist ein 78-jähriger, der sich nach erfolgreichem Unternehmerleben noch einmal seine Marke zurückgekauft und erfolgreich wiederbelebt hat; ein Side-Project eines finanziell gut aufgestellten Privatiers. In beiden Fällen war das Risiko eines persönlichen Schadens, gar ein »Landen-auf-der-Straße« nicht gegeben.
Tatsächlich, so berichtet Stephan von einer Umfrage, ist es so, dass der primäre Antrieb der Schüler für die Arbeitssuche erhoffte, gewünschte Sicherheit ist.
Natürlich – so schränkt die Gruppe ein – ist ein Unterschied in der Risikofreude zu finden, zwischen einerseits Lehrlingen und studentischen Unternehmensgründern und andererseits 50+ Erwachsenen, die im Laufe ihres Lebens eine Menge aktueller Verpflichtungen eingegangen sind. Ich frage mich, ob der ältere Steve Jobs der zweiten 1990er-Hälfte auch einfach so nach Indien gewandert wäre, wie es der junge Steve Jobs Mitte der 1970er tat, um spirituelle Erleuchtung zu finden?
Ist man als junger Unternehmer innovationsfreudiger? Fast scheint es so zu sein, wenn man die Geschichte von den beiden jungen Pizza-Bäckern hört. Sie gründeten 2020, knapp vor Ausbruch der Pandemie, und waren plötzlich aller Grundlagen für den Geschäftserfolg einer Pizzeria beraubt. Doch jung und innovativ, vielleicht auch mit gesunder Menge an Blauäugigkeit, haben sie sich der aktuellen Situation gestellt und überlegt, was sie mit den »gegebenen Zitronen« machen können – die effektuale Vorgangsweise lässt wieder grüßen.
Und da war die alteingesessene Pizzeria, die sich weigerte (trotz der pandemischen Einschränkungen) über die Straße zu verkaufen. Ich weiß nicht, ob es die noch gibt.
Jedenfalls sehen wir daran (aber wir haben es alle sowieso selbst erlebt) kein Businessplan überlebt den ersten Kunden, insbesondere dann nicht, wenn plötzlich eine Pandemie ausbricht, plötzlich ein Schiff im Suez-Kanal quer steht, plötzlich (naja, nicht wirklich) Inflation ist, auch der Krieg ist nicht plötzlich ausgebrochen und dass wir uns auf drastische Verwerfungen in der Wirtschaft einrichten werden müssen, das wussten wir in Wahrheit seit der Krise 2008 und dem Brexit. Das Problem ist, dass man sich bewusst sein kann, dass Krisen und unerwartete Risiken auftreten werden, aber man kann sich nicht wirklich (also konkret) darauf vorbereiten, weil wir nie wissen können, was es genau ist. Die Zukunft ist ungewiss, eine Binsenweisheit, die man (die Banker?) dennoch beim Businessplan-Schreiben für einen Moment ausschließt.
Wie geht man also damit um, mit dieser Ungewissheit?
Das Business-Model-Canvas (BMC) und Effectuation deuten die Handlungsweise an. Das BMC zeigt mir als Dashboard an, was ich kann, habe, für wen ich es mache, was ich einnehmen (könnte) und was es mich kostet und Effectuation bietet mir mit den fünf Prinzipien Entscheidungshilfen.
Ahmed beschreibt, wie es bei seinem Startup Anfang 2020 war. Es handelte sich um ein neues Produkt, das höchst erklärungsbedürftig war, das sich online nicht verkaufen ließ, sondern persönliche Treffen erforderte. Ohne Kundenkontakt war es unverkäuflich, meinte man damals, und entschied – ebenso mutig – das Projekt zu stoppen. Der leistbare Verlust wäre überstiegen worden.
Aber ein junger Mensch, der will sich vielleicht mit seiner Unternehmung auch selbstverwirklichen, der will »es durchziehen« – mitunter bis an die Substanz gehend, mit 60...70...80-Stunden-Arbeitswochen, wirft Marlene ein. Also sind junge (unerfahrenere) Menschen doch mutiger und riskieren mehr? Können die das?
Souverän und beruhigend verdichtet Peter: es ist eine Frage von Vernunft und Emotion! Je größer ein Projekt und je älter jemand ist, desto vernünftiger agiert dieser Mensch. Junge Menschen sind häufig emotional getrieben. Auch Ältere mitunter; wir sehen das beim Sunk-Cost-Irrtum: die Intention einen Verlust zu kompensieren, ist enorm motivierend – aber keineswegs vernünftig.
Werner wünscht sich ein Framework. Wie kann ein Manager für eine Innovation – eigentlich eine Idee, denn eine Innovation ist es erst, wenn es im Markt sichtbar wird – entscheiden? Nicht der Wert der Innovation erscheint ihm ausreichend, sondern die Sicherheit, dass es eine Innovation, oder noch besser, eine vom Markt (von den Kunden) gewünschte und akzeptierbare Innovation ist. Wir stossen schon wieder an jenem Zauberwort an, dass ich auch in der Fortsetzung zu den »9 Schritte zum besseren Business Model« erläutere. Im »3-Sprung zum besseren Produkt« wird klar, für eine erfolgreiche Innovation müssen wir Anschlussfähigkeit garantieren.
Ein Produkt kann noch so genial neuartig sein, wenn es die Konsumenten nicht in den aktuellen Alltag integrieren, nicht an bisher Gewohntem anschließen können, dann wird es nicht gelingen. Nicht jetzt. Das sind jene genialen Produkte, die erst Jahre nach ihrer Einführung (oder gar nicht) erfolgreich sind, weil sie ihrer Zeit voraus waren, die Zeit eben für sie noch nicht reif war. So sagen die Historiker. Ich nenne das misslungene Kommunikation, die daran scheiterte Anschlußfähigkeit zu erzeugen. »1000 Songs in die Hosentasche stecken können« oder ein Telefon mit sich wandelnden Tasten (weil die auf dem Bildschirm nach Bedarf erscheinen), sind großartige Beispiele anschlussfähig machender Kommunikation. Nicht die Technik kommt zu früh, sondern die Erklärung für den Menschen ist falsch.
Auch Susanne wünscht sich einen Fragebogen, der ihr dabei hilft eine Innovation zu etablieren. (Vielleicht entsteht so einer, mitsamt dem Framework, in nächster Zeit.)
Im Treffen fasste ich zusammen (und ich unterstreiche das hier), wir haben das gewünschte Framework bereits. Es ist die Herangehensweise der Designer kombiniert mit der unternehmerischen Methode: Design-Thinking mit Effectuation.
Jetzt, nach dieser schrifltichen Reflexion, ergänze ich, auch der »Fragebogen« liegt de facto vor: die Frage lautet, ist das das Produkt anschlussfähig? Liegt eine Anschlußfähigkeit nicht glasklar vor Augen, dann muss ich sie erschaffen. Das gelingt durch mutiges Beobachten, Interpretieren und Entscheiden – ich erlaube mir abermals den Verweis auf die »3 Kerneigenschaften für Design-Thinking«. Mit entsprechender Formulierung, den richtigen Wörtern, Argumenten, die sich aus meinem Einfühlungsvermögen, meiner Interpretationskompetenz und meinem Entscheidungsmut als Unternehmer oder Manager für meine/über meine Kunden ergeben.
Wie kommt man von »tolle Idee-Vertrauen« zur Gewissheit? Das ist nicht allgemein zu beantworten. Es ist eine Frage, wie man Erfolg definiert. Woran will ich – ich! – mich messen? Geht es um Geld, Ruhm, Reichweite, hat man Interesse Wissen weiterzugeben. War Tesla mit seiner Innovation »Wechselstrom« erfolgreich? Er wollte, so interpretiere ich aus all den Berichten über ihn, der Menschheit Strom geben, immer und überall. Das führte dazu, dass er den Tantiemen-Vertrag zerriss und verarmt im Hotelzimmer starb. Was Erfolg ist, müssen wir uns selbst beantworten. Im vierten Satz der »6 Sätze über Design« erläutere ich (wie ich soeben wieder feststelle) umfassend, was wir unter Erfolg im Allgemeinen und »wirtschaftlichem Erfolg« im Speziellen (jener, für den designen Schlüsselfaktor ist) meinen (siehe »Designen ist Schlüsselfaktor für wirtschaftlichen Erfolg«).
Fazit: Wird ein neues Produkt (eine Innovation) angenommen und erfüllt es die gewünschte Funktion, dann ist es erfolgreich. Dann ist die Innovation gelungen.
Alte Menschen wollen diesen Erfolg schnell, junge sind vielleicht geduldiger, denn die sind sich gewiss, dass sie ihn erleben. Aber auch über diese Aussage ließe sich nun trefflich streiten.
Die Möglichkeit zum freudvollen »Weiterstreiten« gibt es alle 14 Tage, beim Innovation-Briefing. Inspiration gewiss.
PS: Wann immer du über eine Produkt-Innovation nachdenkst, du hast vier Möglichkeiten mit mir in Kontakt zu treten:
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