Häufig und möglichst früh scheitern

05/09/2021

Kommentar

Was sagst du dazu?

  1. Ganz groß, lieber Rudolf. Danke für diesen Beitrag. Mich hat diese Sichtweise 'schneller und häufiger scheitern' immer gestört, konnte ihr aber argumentativ nicht so gut beikommen, wie dir das hier gelungen ist.

  2. Lieber Hermann, vielen Dank für dein Lob und die Zustimmung.
    Aus deinem Mund (deiner Feder, besser, Tastatur) und mit deinem Wissen, bekommt die Aussage eine weitere, bedeutende Bestätigung aus der Praxis.
    Danke.

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Es geistert ein Mythos durch den Design-Thinking-Mainstream, wonach es typisch und geplant sei – im Design-Thinking –, dass man häufig und früh scheitert. Manche Berater weisen sogar daraufhin, dass »es wichtig ist, im Design-Thinking, oft Fehler zu machen und zu scheitern.« Diese Berater sind freilich nie als Designer tätig gewesen und kennen die Denkweise der Designer nur vom Hören-sagen. Sie kennen die Quellen und Ursachen für manche Handlungen nicht, die die Herangehensweise der Designer (und artverwandter) Menschen ausmachen, wenn sie Probleme und Aufgaben lösen. Sie wissen nur, dass diese Denkweise, die sich von jener der Manager unterscheidet, unter dem Namen Design-Thinking bekannt wurde und bestens für Innovationen eignet.

Also plappern sie manche Botschaften der Designer, die sie so aufschnappen, kontextbefreit nach und missverstehen sie manchmal sogar derart, dass sie die Fehler zu Erkennungszeichen hochstilisieren. Sie beobachten das Verhalten und meinen es durch Imitation verstanden zu haben. Doch es ist anders.

Ein Designer will nicht scheitern.

Weder früh, noch häufig.

Es ist also absoluter Schwachsinn, wenn Design-Thinking-Eleven behaupten, man müsse im Rahmen eines Design-Thinking-Workshops häufig scheitern.» Je häufiger, desto besser«, kann man gelegentlich von den besonders eifrigen hören.

Tatsächlich ist es aber so, dass Designer mit ihren Komptenzen, insbesondere den drei Kernkompetenzen danach streben, im ersten Anlauf das richtige Ergebnis für die Konsumenten, für die Nutzer zu erringen.

Die Vorarbeit, die Informationsaufnahme ist so angelegt, dass man möglichst viel über die Nutzer und den Anwendungsbereich lernt, sodass man in die Rolle des Nutzers schlüpfen kann. Mit Einfühlungsvermögen gelingt es dem guten Designer Teil der Zielgruppe zu werden und für sich das beste zu designen. Mit seiner Interpretationskompetenz kann er antizipieren, was die Nutzer wie erreichen wollen werden und mit seinem Entscheidungsmut trifft er ... mutig eine Entscheidung für den Kunden. Sozialistisch. Bevormundend.

Weil der Designer aber den freien Willen achtet und sich bewusst ist, dass er sich auch irren kann, prüft er seine Annahmen regelmäßig. Und zwar möglichst früh.

Daher kommt das »früh« aus dem obigen Sprücherl. Wir versuchen früh sicher zu sein, die richtigen Annahmen getroffen zu haben.

Allerdings prüfen wir nicht so früh, dass wir garantiert scheitern, sondern erst dann, wenn wir gut überlegt haben und meinen, die genau richtige Lösungen gefunden zu haben. Nicht früher. Wir wollen annehmen können, dass unsere Annahmen zutreffen und das Produkt (der Gegenstand, der Prozess oder die Diensteistung) funktioniert. Fühlen wir uns wissend und sind wir überzeugt davon uns richtig entschieden zu haben, dann testen wir mit Demut. Wir wollen nun unsere Lösung scheitern sehen, damit wir sicher sein können, dass sie die richtige ist. Denn kann der testende Nutzer unsere Lösung nicht zum Scheitern bringen, kann er, trotz unserer Aufforderungen etwas falsch zu machen, nichts falsch machen, dann haben wir die Lösung gefunden.

Die Praxis zeigt jedoch, dass das häufig eben nicht beim ersten Anlauf gelingt. Unsere Lösung scheitert im Gebrauch, aber gleichzeitig lernen wir dabei weitere Facetten der Aufgabe kennen.

Damit diese Lerneinheiten nicht zu teuer werden, testen wir unsere (vorher wohl überlegten und vermeintlich unfehlbaren) Lösungsvorschläge in Form einfacher Prototypen. Wir benutzen Material, das schnell verfügbar ist, kleben Milchkartons mit Klebeband zusammen, stellen Stühle in bestimmten Abständen auf, verwenden Getränkekisten, um unterschiedliche Niveaus zu simulieren, usw. Natürlich kommen auch Postit zum Einsatz, insbesondere wenn wir Abläufe oder Benutzeroberfläche auf Bildschirmen nachmachen. Nicht die perfekte Nachbildung, sondern das Prinzip wollen wir auf die Probe stellen. Daher investieren wir nicht viel Zeit in eine perfekte Darstellung, sondern skizzieren grob, wie es gehen könnte und konfrontieren dann die Nutzer mit unserem Vorschlag. Dabei erkennen wir Verbesserungspotential und iterieren die Lösung; verfeinern also durch mehrere Schleifen unsere Idee. In diesen Schleifen steigern wir auch die Qualität der Prototypen je sicherer wir uns sein können, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Sie muss auch steigen, denn wenn ein grobes Prinzip bestätigt ist, wollen wir die Details bestätigen lassen und das gelingt nur, wenn es diese Details auch gibt. Also muss man einen feineren, besseren Prototyp bauen. Einen mit etwas höherer Qualität.

Es geht darum, möglichst früh und mit geringem Einsatz Gewissheit zu erzielen.

Es sind energiesparende Versuche, analog zur Geschichte, in der ein Kapitän, statt mit Kanonenkugeln solange mit Gewehrkugeln auf das feindliche Schiff schoß, bis Richtung und Winkel für den optimalen Schuß gefunden waren. Erst als diese Daten vorhanden waren, benutzte er die wertvollen Kanonenkugeln, traf und versenkte den Gegner. Hätte man sofort die Kanonenkugel verwandt, dann wären keine mehr da gewesen als man endlich die richtige Abschußposition gefunden hatte.

Unsere Prototypen aus Karton, Styropor und mit vorgefundenen Materialien, unsere gespielten Szenen, die Postit-Stapel, das sind die Gewehrkugeln, mit denen wir »die Richtung und den Winkel« erforschen. Dann bauen wir die richtigen Modelle und bessere, d.h. teurere Prototypen, die Kanonenkugeln, und ... scheitern genau nicht!

Ja, wir lernen aus unseren Fehlern. Alles andere wäre dumm. Doch wie Peter Drucker in seiner Autobiografie schreibt, noch besser ist es aus seinen Erfolgen zu lernen.

Im Design-Thinking ist es keineswegs »wichtig, früh und häufig zu scheitern«. Es gilt durch entsprechende Vorarbeit und mit den drei Kerneigenschaften eine fundierte These zur Problemlösung zu formulieren und diese dann mit Demut zu überprüfen. Je früher das gemacht wird, desto geringer sind die Kosten, wenn man sich geirrt hat. Das ist der Kern dieser Aussage und so war sie von Anfang an gemeint.


PS: Wann immer du über eine Produkt-Innovation nachdenkst, du hast vier Möglichkeiten mit mir in Kontakt zu treten:

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