Es war einmal, dass ich mein Designunternehmen als probaten Partner für die Gestaltung einer neuen PET-Flasche angeboten habe. Ein interessanter Auftrag mit potentiell großer öffentlicher Sichtbarkeit, eine tolle Chance, um das Leben der Menschen (der Mineralwasser-Trinker) zu verbessern.
Um unsere Design-Kompetenz zu beweisen, zeigte ich Produkte, die wir für Philips, Artweger, Doppelmayr und Mam gemacht hatten, also Diktiergeräte, Duschkabinen, Liftstationen und Babyprodukte. Die Zuhörer waren angetan, die Gegenstände gefielen, die Argumentation, warum sie aussahen wie sie aussahen, war schlüssig, die Zuhörer verstanden unsere Design-Expertise. Dennoch beendeten sie das Gespräch mit dem Hinweis, dass wir noch nie eine PET-Flasche entworfen hätten. Das war für sie Grund genug anzunehmen, dass wir das nicht könnten. Ein Irrtum!
Offenbar kannten sie Vignellis Erkenntnis nicht (»If you can design one thing, you can design everything.«) und sie verstanden nicht, dass es nicht auf den Gegenstand, den es zu gestalten gilt, sondern auf die Gestaltungskompetenz ankommt. Das ist die Fähigkeit, die es zu beurteilen gilt, nicht das konkrete Objekt. Das Objekt ist bloß ein Beweisträger, dass man zur Gestaltung fähig ist. Im Fall von Industriedesign beweist das realisierte und im Verkauf befindliche Produkt darüber hinaus, dass man zu einem markttauglichen Preis produzierbare Produkte und der dafür notwendigen Zusammenarbeit mit den internen Fachleuten fähig ist. Experte für PET-Flaschen, das sind die PET-Flaschen-Produzenten selbst. Der Industriedesigner ist nur der Sparringspartner für diese Experten, der die Aussensicht, die Kundensicht und das Formgefühl einbringt. Er muss Expertise im Fach »Gestalten für industriell herstellbare Güter« haben.
Unternehmen stehen immer wieder vor der Herausforderung, ihre langjährige Expertise in einer Branche A erfolgreich auf eine andere Branche B zu übertragen. Einerseits um weiter wachsen zu können (wie soll das gelingen, wenn man schon Marktführer in der angestammten (A) ist?) und andererseits, um sich ein wenig unabhängiger von den Risiken der einen Branche A zu machen. Damit das gelingt, so erleben wir immer wieder, bedarf es die eigene Spezialisierung neu zu definieren, andernfalls wird das nicht verstanden.
Die langjährige Erfahrung und Spezialisierung in einem bestimmten Bereich sind für Unternehmen von unschätzbarem Wert. Diese Expertise, die sich z.B. in der Branche A gebildet hat, ermöglicht es, maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln und den Bedürfnissen der Kunden (in A) bestens gerecht zu werden. Will man diese Kenntnisse auch anderen Branchen (B, C) zu gute kommen lassen, dann stoßen Unternehmen immer wieder auf Widerstand.
Potentielle Kunden in den anderen Branchen (B, C, D) missverstehen die Spezialisierung und meinen die Erfahrungen des Unternehmens in der ursprünglichen Branche A sind in der eigenen Branche B nicht nützlich oder gar ein Hindernis.
Die Herausforderung besteht also darin, den potenzielle Kunden die Erfahrung in der bisherigen Branche A nicht als Hindernis, sondern als Vorteil erkennen zu lassen.
Vertreter einer anderen Branche sind zwar beeindruckt von den Leistungen eines Unternehmens in A, zweifeln jedoch an dessen Fähigkeiten außerhalb des ursprünglichen Sektors. Die umfassende Erfahrung mit SB-Systemen in A wird als irrelevant für ihre eigenen Anforderungen in B betrachtet. Wie kann man dieses Missverständnis aufklären?
Es ist eine Frage des Reframings.
Bin ich in einer Branche A mit einem Verfahren erfolgreich und will ich dieses Verfahren auch einer anderen Branche B anbieten, die mit ähnliche Aufgabenstellungen wie A konfrontiert ist, dann muss ich mit dem Kern meiner Expertise argumentieren. Das ist nicht leicht, auch ich bin damals in meinem Designunternehmen immer wieder daran gescheitert, das klar zu stellen und nachvollziehbar zu machen.
Hier kommt die Kunst des Reframings ins Spiel. Es gilt die eigene Spezialisierung neu zu interpretieren und auf eine Weise zu präsentieren, dass sie in verschiedenen Kontexten anwendbar wird.
Das gelingt, wenn wir den Kern unserer Expertise freilegen und generalisieren. Wir fragen, welche grundlegenden Fähigkeiten und Prozesse unsere Erfahrung ausmachen. Was ist der wahre Grund für eine bestimmte Wahrnehmung unserer Expertise in der angestammten Branche A.
Das ist knifflig, weil es auch mit den gängigen Theorien der Positionierung leicht in Konflikt kommt.
So war es vor gut zwanzig Jahren umstritten, ob es sinnvoll für Porsche ist auch ein Semi-Geländeauto (den Cayenne, ein SUV) anzubieten. Porsche sind Sportwagen! Das Gegenteil von einem Geländewagen. Das wird scheitern, meinten so manchen Differenzierungsexperten damals. Der SUV wird das sportliche Image der Marke beschädigen. Das ist nicht passiert. Man hat es nicht bereut (so scheint mir), im Gegenteil, man hat die Marke weiter gedehnt und bietet (als Grand Tourismo) auch eine »Familienversion des 911er« an, so interpretiere ich den Panamera.
Auch die Familienlimousine hat das Image der Marke Porsche – schnelle Autos – nicht angekratzt. Zumindest nicht in meinem Verständnis. Es geht um eine Familienverwandtschaft, die in allen drei Typen zu erkennen ist. Schnelle Autos für unterschiedliche Vorlieben und Lebenssituationen. Als Familienvater (-mutter) muss man den 911er abgeben, kann ihn höchstens als Zweitauto weiter nutzen (wenn es sich vom Einkommen ausgeht), muss also auf ein familientauglicheres Auto ausweichen. Naja, wenn man schnelle Autos liebt, dann ist das vielleicht ein AMG-Mercedes-Kombi.
Oder seit ein paar Jahren kann das auch ein Panamera sein. Das ist eine Erweiterung der Kundenschicht, damit wird eine neue Kundengruppe erschlossen. Man ermöglicht damit als Unternehmen, dass Mitglieder der Markensippe (der Tribe, der sich über die Marke Porsche bildet) auch in anderen Lebenssituationen sich diesem Tribe zugehörig markieren kann. Die Marke gehört nicht mehr dem Unternehmen, sie dient den Kunden zur Identifizierung.
Porsche ist ein Sportwagen. Ein Sportwagen ist schnell, lässt sich – das ist klar – sportlich fahren. Die Porsche-Limousine muss also – damit sie zur Marke passt – schnell sein, sich sportlich fahren lassen. Das ist die Expertise der Porsche-Leute. Sie können Autos bauen, die sich sportlich fahren lassen und schnell sind.
Entscheidender Schritt ist die Entdeckung von Analogien zwischen verschiedenen Branchen. Analogien sind Brücken, die helfen, spezialisierte Fähigkeiten in einem neuen Kontext zu vermitteln. Unternehmen können erfolgreiche Beispiele in der Branche A nutzen, um zu zeigen, dass ähnliche Prinzipien in unterschiedlichen Szenarien der Branche B anwendbar sind. Damit wird die Aufmerksamkeit der potentiellen Kunden auf die Kompetenz (die Expertise) gelenkt; die langjährige Erfahrung in einer Branche fungiert dann als Beweis, dass das auch so ist.
Im Fall von SB-Banking-Terminals ist das sogar ein besonderer Beweis, weil wir davon ausgehen können, dass die Anforderungen der Banken besonders hoch sind.
SB-Banking-Terminals sind ausfallsicher, transaktionssicher, täuschungssicher, etc. Es gibt hohe Anforderungen an SB-Terminals in Banken, die mit Großrechnern Daten austauschen und sicherstellen müssen, dass die richtige Person berechtigt Geld erhält oder Überweisungen durchführen kann. Es braucht Software die betrugssicher ist. Die Transaktion ist dabei der interessante Aspekt für die Banken, denn damit verdienen sie ihr Geld. Die Transaktion sicher und schnell abzuhandeln ist also notwendig für erfolgreiche SB-Banking-Terminals. Für das Flughafen-SB-Terminal oder die Check-Out-Kassa im Supermarkt gilt der gleichen Wunsch: transaktionssicher und bequem und schnell für die Kunden.
Die Übertragbarkeit von Kernprinzipien ist für potenzielle Kunden relevant und soll verständlich und überzeugend dargestellt werden.
Die Betonung der Übertragbarkeit ist der entscheidende Schritt bei der Kommunikation von Spezialisierung. Unternehmen müssen klarstellen, dass ihre Erfahrung nicht auf die spezifische Branche, sondern auf die zugrunde liegenden Prozesse und Prinzipien abzielt. Eine solche klare Kommunikation hilft, Missverständnisse zu vermeiden und das Vertrauen potenzieller Kunden zu gewinnen.
Es gilt die Analogien zwischen der einen und der anderen Branche herauszuarbeiten. Es könnte sein, dass ein Prozess aus der Branche A, in der man erfahren ist, viel komplexer ist als ein ähnlicher Prozess in der Branche B. Der wäre also deutlich einfacher, aber natürlich auch anders. Der Prozess wäre analog abzuarbeiten.
Beispiel: Gestalte ich einen Stuhl, gehe ich als Designer letztlich ähnlich vor, wie wenn ich eine PET-Flasche entwerfe. Ich studiere den Gebrauch, den Markt, visioniere das Ideal und strebe zeichnend danach. Dann stimme ich mich mit der Fertigungstechnik ab und versuche in enger Kooperation mit den Ingenieuren, Entwicklern und Verfahrenstechnikern mein Ideal produktionsgerecht und zu einem marktakzeptablen Wert zu realisieren.
Bei Supermarkt vs. Bank wäre das vielleicht das Abwägen vs. das Münzen zählen, oder das Produkt scannen vs. den Zahlschein scannen. Das sind jeweils ähnliche Problemstellungen, aber für mich als Laien erscheint das Zählen der Münzen (und dabei sicherstellen, dass es keine falschen sind) schwieriger als das Wägen von Obst; auch das Scannen eines Zahlscheins und Erkennen von handgeschriebenen Ziffern und Buchstaben erscheint mir zwar vergleichbar, aber deutlich herausfordernder als das Scannen eines Produktes mit seinem Barcode.
Es ist der Prozess, die Fähigkeit bestimmte Abläufe bestens durchzuführen, was die Expertise ausmacht. Der Designer kann gestalten, die Auto-Ingenieure können schnelle Autos, die sportlich zu fahren sind, bauen. Die Objekte, die gestalteten Gegenstände, die realisierten Autos, sind der Beweis dieser Expertise.
Ein Unternehmen weiß bestens um die Komplexität von SB-Prozessen Bescheid. Die Masse an in Betrieb befindlichen SB-Terminals sind der Beweis. Dass diese bei Banken stehen ist keine Einschränkung, sondern beweist, dass die Expertise so groß ist, dass sie selbst den annehmbaren hohen Anforderungen der Geldwirtschaft gerecht wird. Wer Formel-1-Autos bauen kann, kann bestimmt auch Sportwagen bauen. Ferrari beweist das.
Wenn wir mit unserer Fachkenntnis von einer Branche A in eine andere Branche B wechseln wollen, dann gehen wir unserer Expertise auf den Grund. Wir legen den Expertise-Kern frei und nennen diese Fähigkeiten. Verlangt der Gesprächspartner aus Branche B nach Beweisen der Kompetenz-Behauptung, dann verweisen wir auf die große Erfahrung in der einen Branche A. Der Einwand, bei uns ist das anders, ist willkommen. Das ist klar. Wer ist Experte in der Branche B? Der Kunde. Wer ist Experte im Prozess, den die Branche B genauso braucht wie die Branche A? Wir!
Kann der Designer eine Sache gestalten, kann er auch jede andere gestalten.
Das gilt analog auch für andere Experten.
Komm’ zum nächsten EarlyGlowBusinessdesignTalk, wenn du mehr über das Thema erfahren willst.
Oder besuche das nächste Businessdesign-Briefing, ein Kurzvortrag zu aktuellen Themen aus der Welt des Businessdesign und Innovation.
Also published on Medium.