die diskursunfähigkeit unserer tage

04/01/2017

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es ist ein problem der diskursfähigkeit.
man will manche ansichten nicht hören und negiert sie. dieses »überhören« führt wiederum dazu, dass diese ansichten verstärkt, zugespitzter, polemischer formuliert werden. auch diese werden — nun erst recht — zurückgewiesen. bis dann der ärger eines diskussionspartners so groß ist und das thema drastisch verkürzt — und dabei vereinfacht — präsentiert wird. als lösung.
es erinnert mich an einen defekten analogen lautstärkeregler. man will leise musik hören. man stellt das radio damit leiser, ein klein wenig noch. oh, jetzt ist es zu leise, ein interessanter beitrag. also versuche ich zart wieder etwas lauter zu stellen. doch das radio reagiert nicht. ich drehe den regler nur ein wenig nach rechts, aber es verändert sich nichts. es bleibt leise. ich drehe also vorsichtig ein wenig weiter nach rechts. nichts. also mit etwas mehr »ruck« und — zack — jetzt ist es viel zu laut. das radio plärt mir die nachrichten ins ohr. ein radio kann ich recht schnell wieder leise stellen, aber wie ist es mit einer gesellschaft?
man möchte, wenn man sich diverse diskussionen anhört, den regler ein klein wenig »nach rechts« drehen. sagen wir in die 1970er oder 1980er jahre. wir aßen damals noch »mohr im hemd«, schleckten »eskimo-eis«, kauften im zuckerlgeschäft »negerbrot« und andré heller wollte noch »ein zigeuner sein«. doch das klein-wenig-nach-rechts drehen funktioniert nicht. der regler ist nicht mehr fein genug, abgenutzt, erlaubt diese nuancierte, kontrollierte rechtsjustierung nicht. erlaubt nicht einmal eine darlegung und zerlegung der fakten, denn manche dieser fakten kann man eben gut als »politisch unkorrekt«, als diskriminierend, als einschränkend bezeichnen (was hermeneutisch meist offensichtlich falsch ist). also, anstatt dass man sich mit einer problematik ausführlich auseinandersetzt, begriffe und ihren gebrauch und bedeutungsumfang definiert, anstatt dass man unterscheidet zwischen den vielfältigen sonderfällen (heute heisst es »einzelfälle«) und dann ein differenziertes, sauber gedachtes ergebnis präsentiert, blockt man »von links« alle diskussion ab. man errodiert diesen lautstärkeregler, sodass eine feinjustierung nicht mehr möglich ist. die »musik« wird immer leiser, dh. der bürger fühlt sich immer weniger verstanden und will immer vehementer korrigieren, nur ein wenig lauter. geht nicht. hoffentlich wird es nicht abrupt laut. zu laut!
übrigens ist mir aufgefallen, dass dieses phänomen des eingrabens in eine position auch im alltag jedes menschen vorkommt. bei mir jedenfalls kann ich feststellen, dass man gelegentlich in einer diskussion in eine position gedrängt wird, die man dann auch noch verteidigt, obwohl man gar nicht vollständig damit übereinstimmt. man wird von den mit-(gegen?-)diskutanten förmlich an dieser position in den boden gepresst.
das ist ein symptom der diskursunfähigkeit.
und zwar der eliten!
am stammtisch wird geredet, das ist die eine sache, aber die eliten sollten besonnen agieren und sauber argumentieren. doch der stammtisch hat sich vergrößert. »die welt« (das internet, facebook, you-name-it) ist heute für viele dieser stammtisch. sie ist also deutlich größer geworden, diese »stammtisch-runde«, dabei kaum wissender. umso wichtiger ist es, dass wir uns im differenzierten, fakten analysierenden denken und diskutieren üben. welch eine wunderbare chance steht hier bereit ergriffen zu werden: man stelle sich vor, die menschheit diskutiert, in großer breite, besonnen die themen des alltags und man findet ein argumentatives ergebnis, das alle verstehen und dem alle zustimmen. eine utopie, gewiss, aber tendenziell realisierbar. heute »mehr den je«.